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Misstrauisch aus Erfahrung

Prostituierte lehnen Schutz durch die Große Koalition ab - sie wissen warum

Der Schutz von Prostituierten vor Ausbeutung und Menschenhandel soll Kern eines Gesetzes werden. Die neuen Sonderregeln gelten jedoch für alle in der Branche. Das nährt Misstrauen.

Es gibt bislang nur ein paar Eckpunkte, gar keinen fertigen Entwurf - wenn SPD und CDU also erst einmal testen wollten, wie ihre Pläne für ein neues »Prostituiertenschutzgesetz« ankommen, haben sie von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Sexarbeitskongresses eine klare Antwort bekommen: ganz schlecht. Die sozialdemokratische Rechtspolitikerin Eva Högl versicherte zwar, keinesfalls legale Prostitution kriminalisieren zu wollen, sondern ausschließlich kriminelle Menschenhändler - allein, man glaubte ihr nicht im Emil-Fischer-Hörsaal der Berliner Humboldt-Universität, wo sich am Mittwochabend rund 300 Sexarbeiter jeden Geschlechts, Bordellbetreiber, Beraterinnen und Verbandsvertreterinnen eingefunden hatten, um mit Politikern der Bundestagsparteien über die Gesetzespläne zu diskutieren.

Überraschen konnte daran eigentlich nur Eva Högls Überraschung, die sich über die feindliche Stimmung im Saal beschwerte, während sie sich selbst eher als Verbündete wahrnimmt. Rot-Grün hatte vor zwölf Jahren einen Paradigmenwechsel eingeleitet und Prostitution vom Verdikt der Sittenwidrigkeit befreit.

Schuld an der Schärfe ist das, was in den Eckpunkten der Koalition steht - eine neue Meldepflicht für Prostituierte, die Erlaubnispflicht für Bordelle, das Verbot bestimmter Geschäftsmodelle - wie auch das, was nicht darin steht - Verbesserungen, die sich Prostituierte wünschen, etwa die Abschaffung der Sperrbezirke oder neue Modelle für ihre soziale Absicherung. Schuld an dem Misstrauen ist nicht zuletzt der Koalitionspartner CDU, der umfassende Verschärfungen fordert und für den Sylvia Pantel, zuständige Berichterstatterin im Familienausschuss, auf dem Podium saß.

Das Reformvorhaben wurde auf Druck der Union in den Koalitionsvertrag geschrieben. Die Umsetzung fällt jedoch in das Ressort der Sozialdemokraten. Familienministerin Manuela Schwesig versucht seither einen Spagat - verbal die rot-grüne Linie beibehalten und zugleich irgendwie die Prostitutionsgegner in der CDU befriedigen, die verpflichtende Gesundheitsuntersuchungen, ein Mindestalter von 21 für Prostituierte sowie die Bestrafung von Freiern von Zwangsprostituierten fordern. All das lehne sie ab, betont Högl.

Sexarbeiterinnen scheinen jedoch nicht allzu viel Vertrauen in die Standhaftigkeit der SPD zu haben. Sie fühlen sich durch die Vorhaben stigmatisiert. »Für keinen anderen Beruf gibt es eine Meldepflicht«, kritisierte Sexarbeiterin Undine de Rivière die geplante Einführung einer weiteren Sonderregel. Nicht nur sie fürchtet neue Zugriffs- und Kontrollrechte für staatliche Behörden, allen voran die Polizei. Högl selbst mochte diesen Kernpunkt nicht verteidigen. Sie sei ebenfalls skeptisch, räumte sie ein. Auch Pantel konnte an diesem Abend nicht darlegen, wie die Meldepflicht Zwangsprostituierte schützen soll. Man könne sie dadurch leichter »entdecken«, verspricht die CDU-Politikerin. De Rivière argumentiert dagegen: »Wer Frauen zum Anschaffen zwingen kann, der kann sie auch dazu zwingen, sich behördlich zu registrieren.« Getroffen würden vielmehr alle, die legal arbeiten, aber Wert auf ihre Anonymität legen.

Der stärkste Einwand gegen die Eckpunkte ist ein grundsätzlicher: Warum, so fragen Sexarbeiterinnen, werden Maßnahmen gegen Menschenhändler überhaupt ins Prostitutionsgesetz eingefügt und so beide Bereiche vermischt? Wenn überhaupt, sei ein eigenes Gesetz sinnvoller, zumal Opfer von Menschenhändlern in Deutschland auch in der Fleischbranche, Pflege, Hausarbeit und in der Landwirtschaft ausgebeutet würden. Zudem ist es längst strafbar, Frauen dazu zu zwingen, auf den Strich zu gehen. Das kann als sexuelle Nötigung verfolgt werden. »Es gibt genug Gesetze«, sagt Simone Wiegratz von der Prostituiertenberatungsstelle Hydra. »Sie müssten nur durchgesetzt werden.«

Insbesondere der CDU wird nicht geglaubt, dass es ihr wirklich um den Schutz von ausgebeuteten, ausländischen Prostituierten geht. Stattdessen vermuten viele einen Feldzug gegen jede Form von Prostitution unter dem Deckmantel von Opferschutz. Andernfalls, darauf weist eine junge Sexarbeiterin hin, hätte die Union längst eine EU-Menschenhandelsrichtlinie umsetzen können, die vor Jahren verabschiedet wurde. Beratungsstellen, die mit Opfern von Menschenhandel zu tun haben, sehen den besten Schutz in einem gesicherten Aufenthaltsrecht. Aber solche Ansätze kollidieren mit der von der Union verfolgten Abwehr von Migranten.

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