Sticheleien aus der zweiten Reihe

Koalitionsvertrag gilt - Parteispitzen sind um Beruhigung der Lage bemüht

  • Georg Ismar und Sascha Meyer
  • Lesedauer: 3 Min.
Es knirscht im Gebälk der Großen Koalition. Während die Spitzen auf Harmonie machen, stichelt die zweite Reihe. Mit dem Schwächeln der Konjunktur wird das schwarz-rote Bündnis nervöser.

SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann nutzte das Rednerpult im Bundestag am Donnerstag zu therapeutischen Zwecken. »Keine Panik wegen der wirtschaftlichen Situation«, mahnte er die Große Koalition. Die geplante Frauenquote von 30 Prozent für Aufsichtsräte börsennotierter Unternehmen sieht er als keinerlei Belastung für die Wirtschaft. »In der geänderten Wachstumsprognose mögen einige Herren die letzte Chance erkannt haben, die Frauenquote doch noch zu stoppen. Aber meine Herren: Ich muss Sie enttäuschen.«

Zuletzt hatten Unions-Politiker wegen der schlechter werdenden Konjunktur die Frauenquote, die Rente mit 63 bei 45 Beitragsjahren und die Einführung des Mindestlohns von 8,50 Euro infrage gestellt. SPD-Politiker zweifelten ihrerseits an der Sinnfälligkeit eines Haushalts 2015 ohne neue Schulden.

Da ist zum Beispiel Ralf Stegner. Der SPD-Vize wurde zu Wochenbeginn von CDU-Generalsekretär Peter Tauber als »rote Null« abgekanzelt. Nun teilt er via Twitter gegen die Union aus und mokiert sich über das »geistige Niveau der Wirtschaftsdebatten« dort. »Der hat doch nicht mehr alle Latten am Zaun«, keilt Stegner gegen CSU-Mann Peter Ramsauer.

Der Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses hatte ins Spiel gebracht, wegen der schwächelnden Konjunktur doch die SPD-Projekte 8,50 Euro Mindestlohn und Rente mit 63 auszusetzen. Im politischen Berlin kann man derzeit fast den Eindruck gewinnen, es gäbe einen Einbruch um fünf Prozent wie in der Finanzkrise 2008. Aber Wirtschaftsminister und Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) erwartet für dieses Jahr immer noch 1,2 Prozent Wachstum in Deutschland und 1,3 Prozent für 2015.

SPD-Fraktionschef Oppermann warnt deshalb im Bundestag vor »Strohfeuerprogrammen«. SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi versichert, die »schwarze Null«, also der erste Etat seit 1969 ohne neue Schulden, werde 2015 kommen - ein erklärtes Prestigeprojekt der Union.

Bisher war die Zustimmung zur Koalition auch deshalb hoch, weil es keinen Streit wie unter den schwarz-gelben Partnern gab, die sich schon mal als »Gurkentruppe« und »Wildsau« titulierten. Schwarz-Rot machte bisher vor allem Wohlfühlpolitik, weil die Zeiten gut schienen. Die von der Union durchgesetzte Rentenerhöhung für 9,5 Millionen Mütter, die vor 1992 Kinder bekommen haben, kostet 6,5 Milliarden Euro im Jahr, das SPD-Projekt der Rente mit 63 bei 45 Beitragsjahren zwei bis drei Milliarden.

Wo man sich bisher gegenseitig schonte, ja, freundschaftliche Züge entwickelte, scheinen nun Differenzen deutlicher hervorzutreten. Das war auch bei der vorigen großen Koalition nach ein paar Monaten Harmonie der Fall. Damals mokierte sich die SPD über Kanzlerin Angela Merkel, die vom »außenpolitischen Sonnendeck« winke, während sich die SPD »im Maschinenraum« plage. SPD-Chef Gabriel hätte es am liebsten, wenn seine Partei nun Ruhe bewahrt - geht es mit der Konjunktur weiter bergab, müsste sich die Union wohl von sich aus von der schwarzen »Haushaltsnull« verabschieden. Aber die SPD wirkt nicht mehr so geschlossen wie im Frühjahr. Kein Wunder: Die Umfragen sind schlecht.

Merkel segelt dagegen weiter auf hohen Zustimmungswerten. Aufgeregte Debatten über die Wirtschaftspolitik will sie nicht aufkommen lassen und versucht, Brandherde der Koalition auszutreten. Die Frauenquote sei vereinbart und werde auch so kommen, signalisiert sie in die eigenen Reihen. Unions-Fraktionschef Volker Kauder (CDU) hält fest: »Wir stehen zu dem Vereinbarten.« Herausholen will die Union aber doch etwas bei der Umsetzung ungeliebter Projekte wie der Quote - etwa Entlastungen für Start-up-Unternehmen bei der Bürokratie.

Die nächste Bewährungsprobe für den koalitionären Frieden dürfte schon bald kommen, wenn es beim CSU-Prestigeprojekt einer Pkw-Maut im Herbst ernst wird. Auch bei diesem Reizthema kreuzten Kontrahenten schon die Klingen und gifteten sich als »Geisterfahrer« an. Allerdings entlang ungewohnter Fronten - innerhalb von CDU und CSU. dpa/nd

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