Rot-Rot-Grün in Erfurt: Jetzt nur nicht lächeln

Nach der letzten Sondierungsrunde in Erfurt hängt nun alles an den Thüringer Sozialdemokraten

  • Sebastian Haak, Erfurt
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Sondierungen zwischen LINKE, SPD und Grünen in Thüringen sind zu Ende gegangen - in so guter Stimmung, wie sie begonnen hatten. Jetzt haben es die Sozialdemokraten in der Hand.

Zum Abschluss der rot-rot-grünen Sondierungsgespräche darf Andreas Bausewein nicht lachen. Man habe sich, sagt die Vorsitzende der LINKEN in Thüringen, Susanne Hennig-Wellsow, darauf verständigt, dass der Verhandlungsführer der Sozialdemokraten nach der sechsten und letzten Verhandlungsrunde ein ernstes Gesicht machen werde - um Fehlinterpretationen vorzubeugen. Tatsächlich verzieht Bausewein am späten Mittwochabend in Erfurt keine Miene. Obwohl ihm das sichtlich schwer fällt, auch Hennig-Wellsow und dem Chef-Sondierer der Grünen, Dieter Lauinger, scheint der Schalk im Nacken zu sitzen.

Bei einer der vorhergehenden Verhandlungsrunden war ein Lächeln Bauseweins als Signal interpretiert worden, dass die SPD sich bereits für ein rot-rot-grünes Bündnis entschieden habe. Bausewein dementierte das später. Aber er kann nicht verhindern, dass der Zustand seiner Gesichtszüge seitdem zu einem Running gag, einem Dauerwitz, geworden ist, der immer wieder auftaucht, wenn es um die Sondierungen zwischen LINKE, SPD und Grünen geht.

Dass diese Anspielung auch nach der letzten, elf Stunden dauernden Sondierungsrunde kommt, sagt deshalb viel über die Stimmung im rot-rot-grünen Lager aus: Bauseweins Nicht-Lachen untermalt eigentlich nur, wie unbeschwert die Sondierungsteams der potenziellen Partner miteinander umgehen.

Diese Unbeschwertheit freilich rührt auch daher, dass sich seit Mitte September in den Verhandlungen bestätigt hat, was sich schon während der kürzlich zu Ende gegangenen Legislaturperiode in Thüringen andeutete: Es gibt in politischen Fragen große inhaltliche Übereinstimmungen zwischen LINKEN, Sozialdemokraten und Grünen. In den Sondierungsrunden konnten deshalb alle drei Parteien Projekte durchsetzen, die ihnen besonders wichtig waren, während sie gleichzeitig keine großen Mühen hatte, jeweils auf die anderen zuzugehen.

So haben die Grünen beispielsweise durchgesetzt, dass im Falle eines rot-rot-grünen Bündnisses die freien Schulen im Land ebenso gestärkt werden sollen wie die ökologische Landwirtschaft. Die SPD-Vertreter konnten die geplante Einführung eines für Eltern kostenfreien Kita-Jahres erreichen. Die LINKE konnte die mindestens testweise Abschaltung aller V-Leute des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz durchsetzen; wobei besonders dieses letzte Beispiel zeigt, wie groß die Kompromissbereitschaft bei allen Beteiligten während der Sondierungen war.

Obwohl sich die LINKE grundsätzlich für die komplette Abschaffung des Verfassungsschutzes ausspricht und die SPD ebenso grundsätzlich sowohl für den Inlandsnachrichtendienst als auch für die V-Leute ist, einigten sich die Verhandlungsteams auf einen Kompromiss: Der Verfassungsschutz bleibt, die V-Leute müssen - zumindest zunächst - gehen.

Nicht einmal die Unrechtsstaats-Debatte hat diese Harmonie bislang wirklich trüben können. Zwar waren sowohl aus der SPD als auch von den Grünen ein bisschen schärfere Töne zu hören gewesen, als LINKE deutschlandweit anfingen, kontrovers darüber zu diskutieren, ob die DDR nun ein Unrechtsstaat war oder nicht. Sogar mit dem Abbruch der Sondierungen hatte die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Landtag, Anja Siegesmund, gedroht, sollte ein gemeinsames rot-rot-grünes Papier relativiert werden, in dem diese Feststellung ausdrücklich getroffen wird. Doch nach einem weiteren Sondierungsgespräch hatten sich die Partner dann schnell geeinigt, diesen vor allem inner-linken Streit nicht eskalieren zu lassen - obwohl er längst nicht beendet ist.

Dass in der sechsten und letzten Verhandlungsrunde nun beschlossen wurde, ein rot-rot-grünes Bündnis werde keine neuen Schulden aufnehmen, trotzdem aber unter anderem mehr für die Kommunen tun, den Kulturstandort Thüringen stärken und sich dabei auch nicht davon irritieren lassen, dass sich die Anzeichen für eine Eintrübung der Konjunktur verdichten, passt vor diesem Hintergrund durchaus in das rot-rot-grüne Wohlgefühl - ob Bausewein nun lacht oder nicht. Im politischen Erfurt wird seit Tagen immer öffentlicher spekuliert, dass die Signale auf Rot-Rot-Grün stehen.

Die einzige noch unberechenbare Komponente in solchen Überlegungen scheinen nur noch die SPD-Mitglieder zu sein. Sie sollen in den kommenden Wochen darüber abstimmen, ob sie einer Empfehlung des Parteivorstandes für ein rot-rot-grünes oder schwarz-rotes Bündnis folgen. Am Montagabend will die SPD-Führung diese Empfehlung offiziell aussprechen. Eine andere Empfehlung als die für ein sozialdemokratisches Bündnis mit Linken und Grünen wäre eine ganz große Überraschung.

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