Flüchtlingsgipfel endet ohne Einigung

Bund und Länder streiten weiter über Finanzierung des Asylsystems / Familienministerium: Gasteltern könnten minderjährige Flüchtlingsweisen betreuen / Linkspartei: Neues Aufnahmekonzept nötig

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Update 18.40 Uhr: Bund und Länder haben bei ihrem Spitzentreffen zu den wachsenden Flüchtlingszahlen am Donnerstag in Berlin noch keine Einigung über die künftige Verteilung der finanziellen Lasten erzielt. Es werden nun zunächst Arbeitsgruppen eingerichtet, Entscheidungen sollen noch in diesem Jahr fallen, wie der Thüringer Innenminister Jörg Geibert (CDU) nach den Beratungen sagte.

»Wir wissen, dass von uns erwartet wird, dass sich Bund und Länder am Ende zusammenraufen«, betonte Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU). Entscheidungen sollten spätestens beim nächsten Treffen der Ministerpräsidenten mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) fallen.

57 Prozent mehr Erstanträge auf Asyl

In diesem Jahr haben bis Ende September 116 659 Menschen in Deutschland einen Erstantrag auf Asyl gestellt und weitere knapp 20 000 einen Folgeantrag. Das sind 57 Prozent mehr Erstanträge als in den ersten neun Monaten 2013. Insgesamt erwartet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 2014 rund 175 000 Erstanträge. Im laufenden Jahr kamen die meisten Antragsteller aus Syrien, Serbien und Eritrea.

Nicht in der Asylbewerber-Statistik erfasst werden die 20 000 Syrer, deren Aufnahme die Bundesregierung beschlossen hatte. Bisher sind von diesen »Kontingentflüchtlingen« mindestens 8000 eingereist.

Asylsuchende werden in der Regel in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht. Vor allem die Zustände in den zentralen Einrichtungen der Länder, in denen die Flüchtlinge nur kurz bleiben sollen, stehen in der Kritik: In manchen Städten leben Flüchtlinge in zuvor leerstehenden Gebäuden, die einst für Schüler, Alte oder Soldaten gebaut wurden. Auch Container und Zelte werden aufgebaut. dpa/nd

Länder und Kommunen drängen den Bund angesichts der steigenden Flüchtlingszahlen zu stärkerer Unterstützung bei der Schaffung von Unterkünften. Sie verlangen außerdem eine schnellere Bearbeitung von Asylanträgen, was vor allem durch eine Aufstockung des Personals beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erreicht werden soll.

Update 17.50 Uhr: Minderjährige Flüchtlinge, die allein nach Deutschland kommen, sollen nach Plänen des Bundesfamilienministeriums bessere Betreuung bekommen. »Gerade jene Kinder und Jugendlichen, die ohne Eltern und Verwandte haben fliehen müssen oder ihre Angehörigen gar auf der Flucht verloren haben, bedürfen eines besonderen Schutzes«, sagte Ressortchefin Manuela Schwesig (SPD) am Donnerstag. Es solle geprüft werden, Pflege- und Gasteltern zu finden. Zudem sollen die Voraussetzungen geschaffen werden, dass diese Flüchtlinge künftig auf alle Bundesländer verteilt werden können. Gewährleistet werden müssen dafür etwa medizinische Betreuung und Möglichkeiten zum Schulbesuch.

Update 16.00 Uhr: Im Hinblick auf den Flüchtlingsgipfel im Kanzleramt erklärte die LINKEN-Innenexpertin Ulla Jelpke, es reiche nicht aus, lediglich die Kosten des bestehenden Aufnahmesystems zwischen Bund, Ländern und Kommunen neu zu verteilen. »Erforderlich ist ein neues Aufnahmekonzept, das auf frühzeitige Integration statt auf Abschreckung setzt.« Der bisherige Umgang mit Asylbewerbern, etwa die Unterbringung in Sammellagern, der Ausschluss vom regulären Sozialsystem, sowie geltende Arbeitsverbote und die Residenzpflicht, »stammen aus dem Instrumentenkasten einer Politik« die sich gegen die Integration der Asylsuchenden wende, so Jelpke.

Update 15.25: Zur Entlastung der Kommunen bei der Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen fordern die Grünen eine Soforthilfe in Höhe von einer Milliarde Euro. Dadurch schaffe man Perspektiven, die Flüchtlinge bräuchten, sagte die Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, Katrin Göring-Eckardt am Donnerstag in Berlin. Sie verwies dabei auf das für den Nachmittag geplante Treffen von Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) mit den Chefs der Staatskanzleien der Länder zum Thema.

Göring-Eckardt kritisierte den kleinen Teilnehmerkreis. »Die Probleme in der deutschen Flüchtlingspolitik löst die Bundesregierung nicht durch Mini-Treffen auf Staatskanzleiebene«, sagte sie. Sie forderte einen nationalen Flüchtlingsgipfel, bei dem neben Vertretern von Bund, Ländern und Kommunen auch Nichtregierungsorganisationen am Tisch sitzen sollen.

Die flüchtlingspolitische Sprecherin der Fraktion, Luise Amtsberg, sagte, das Treffen im Bundeskanzleramt könne nur ein Anfang sein. Die Bundesregierung müsse die Kommunen schnell finanziell entlasten, forderte sie. Unter anderem schlug sie vor, die Bundesimmobilienanstalt solle Ländern zur Unterbringung von Flüchtlingen eigene Objekte kostengünstig überlassen.

14.00 Uhr: Bayerns Landräte fordern angesichts der dramatischen Lage in den Flüchtlingsheimen vom Freistaat und der Bundesregierung mehr Hilfe bei der Unterbringung. Bei ihrer zweitägigen Tagung im nordschwäbischen Rain beschlossen die Kommunalpolitiker eine Resolution, in der die »Bereitstellung aller verfügbaren Liegenschaften von Bund und Freistaat« verlangt wird, insbesondere gehe es um Kasernen. Ferner müsse es mehr Personal für die Betreuung der Asylbewerber, einen Abbau bürokratischer Hemmnisse bei der Auswahl und Ausstattung von Einrichtungen sowie eine Aufstockung der Fördermittel für Sozialberatung geben, teilte der Bayerische Landkreistag am Donnerstag zum Abschluss der Tagung mit.

Zugleich verwies er auf Versäumnisse der Staatsregierung: Der Kommunalverband habe »bereits in den vergangenen Jahren notwendige Maßnahmen eingefordert, um eine Zuspitzung der Situation zu vermeiden«. Angesichts des bevorstehenden Winters sprachen die Landräte von »Krisenbewältigung« und einer »notfallmäßigen Unterbringung von Flüchtlingen«. Der Verbandspräsident und Deggendorfer Landrat Christian Bernreiter (CSU) machte klar, dass dafür das Land zahlen müsse: »Wenn wir diese staatliche Aufgabe erledigen, dürfen wir nicht auf den Kosten sitzen bleiben!«

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) kündigte an, dass künftig bei jeder Aufnahmeeinrichtung eine »Rückführungsstelle« eingerichtet werden solle. Durch die konsequente Abschiebung abgelehnter Asylbewerber werde schließlich auch die Situation bei der Unterbringung neuer Flüchtlinge entschärft, sagte der Minister.

Um die Kreisbehörden zu entlasten, schlug Herrmann bei dem Treffen vor, dass deren Aufgabenzuschnitte geändert werden könnten. »Eine Möglichkeit könnte beispielsweise darin bestehen, die Fachkompetenz zu Erfüllung einiger staatlicher Aufgaben bei bestimmten Landratsämtern schwerpunktmäßig zu bündeln.« Dabei geht es aber allgemein um die Aufgaben der Behörden, nicht allein um die Unterbringung von Flüchtlingen.

Update 12.40: Auch die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) hält wegen des Zustroms an Flüchtlingen mehr Finanzhilfe des Bundes für notwendig. »Wir bringen ja jetzt auch schon die Flüchtlinge in beengten Verhältnissen unter«, sagte Dreyer dem Südwestrundfunk (SWR). Die Berliner CDU hat den designierten Regierenden Bürgermeister Michael Müller aufgefordert, das Flüchtlingsthema in der Stadt zur »Chefsache« zu machen. Der stellvertretende CDU-Fraktionsvorsitzende Stefan Evers sagte am Donnerstag im rbb-Inforadio, für die drängenden Probleme der Stadt müssten Antworten gefunden werden. Er gehe davon aus, dass mit Müller eher Lösungen möglich seien als unter dem bisherigen Gespann Wowereit/Nussbaum.

Das Land Berlin fordert wie die anderen Bundesländer deutlich mehr Hilfe vom Bund bei der Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge. »Wir erwarten, dass der Bund sein Engagement verstärkt«, sagte Berlins Senatssprecher Richard Meng der Nachrichtenagentur dpa. Die Länder seien sich in ihren Forderungen an den Bund einig, wie die Konferenz der Ministerpräsidenten in der vergangenen Woche gezeigt habe. Zu den Hilfen des Bundes könnten mehr Mittel an die Länder und Kommunen ebenso zählen wie die Bereitstellung von Immobilien, die dem Bund gehörten.

Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) hat Forderungen der Landesregierung bekräftigt, wonach der Bund die Kosten für lange Asylverfahren tragen soll. Die schwarz-rote Bundesregierung habe sich in ihrem Koalitionsvertrag verpflichtet, Asylverfahren in drei Monaten zu entscheiden, sagte der CDU-Politiker der »Freien Presse«. »Da liegt es nahe zu sagen: Ab dem vierten Monat übernimmt der Bund auch die Kosten für Unterbringung und Verpflegung.«

Derweil hat Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer seinen Finanzminister Markus Söder (beide CSU) zum zweiten Mal binnen weniger Tage in die Schranken gewiesen: Seehofer lehnte am Mittwoch einen Vorstoß Söders ab, Geld aus dem nicht ausgeschöpften Fluthilfefonds von Bund und Ländern von 2013 für die Flüchtlingshilfe bereitzustellen. »Meine Forderung ist das nicht, das sage ich ausdrücklich«, betonte Seehofer vor einer CSU-Fraktionssitzung. Söder hatte darauf verwiesen, dass der acht Milliarden Euro schwere Fonds »bei weitem« nicht ausgeschöpft und »sehr viel Geld übrig« sei. Der Fonds wäre jetzt ideal, wenn der Bund den Ländern helfen wolle, »weil man dann nicht einmal neues Geld in die Hand nehmen müsste«.

Die Zahl der Asylbewerber steigt seit Monaten kontinuierlich. Allein in den ersten neun Monaten des Jahres haben bereits mehr als 130 000 Menschen in Deutschland Asyl beantragt - und damit mehr als im gesamten Jahr 2013. Bislang tragen die Länder - und vor allem die Kommunen - die Kosten für die Unterbringung und Versorgung von Asylbewerbern. Der Bund ist lediglich zuständig für die Bearbeitung der Asylanträge beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge.

In vielen Städten und Gemeinden in Deutschland gibt es gravierende Probleme bei der Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen. Dies hat zu einer politischen Debatte über die Finanzierung der Kosten geführt. Zugleich gibt es alarmierende Zahlen über die Ablehnung von Flüchtlingsheimen in der Nachbarschaft. Auch wird die Debatte von rechten Parteien zur Stimmungsmache gegen Asylsuchende genutzt. dpa/nd

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