Unschönes Schneewittchen

Lohr am Main diskutiert über eine Skulptur

  • Christiane Gläser, Lohr am Main
  • Lesedauer: 3 Min.
Im idyllischen Lohr am Main ist ein Streit um eine Schneewittchen-Skulptur entbrannt. Die hatte die Stadt in einem Wettbewerb ausgeschrieben. Jetzt gibt es Streit um Geld und Geschmack.

Das moderne Schneewittchen streckt seine Arme weit auseinander. Die Haare stehen wild zu Berge. Der Gesichtsausdruck der Märchenfigur ist nicht klar zu deuten. Auch dass es die Prinzessin mit dem schwarzen Haar sein soll, sieht man der fast drei Meter hohen Gipsfigur nicht an. Der Objekttitel dagegen ist klar: »Schneewittchen«. Der unterfränkische Bildhauer Peter Wittstadt hat die Skulptur erschaffen, nachdem er vor einem Jahr den 1. Lohrer Kunstwettbewerb mit seinem Modell gewonnen hatte.

Die Stadt am Main, die sich als Schneewittchen-Stadt vermarktet, wollte sich selbst eine moderne Märchenprinzessin für die Innenstadt schenken. Dieser Wunsch wird nun überlagert vom Streit um Geschmack und Geld.

Dass Wittstadts Schneewittchen keine Schöne wie im Disney-Märchen werden wird, war von Anfang an klar. Und das war auch nicht gewünscht. In der Ausschreibung zum Wettbewerb stand: »Gesucht wird nach einer Lösung, die Schneewittchen figürlich, nicht unbedingt naturalistisch darstellt«. Zudem war Wittstadts 1:10-Modell der jetzigen Gipsfigur sehr ähnlich - und damit sehr abstrakt und modern. Die Jury, darunter auch der damalige Bürgermeister Ernst Prüße, hatte Entwürfe von 27 Künstlern aus der Region vorliegen und entschied zugunsten Wittstadts. Es dürfte ihr klar gewesen sein, dass die Figur Diskussionen auslösen wird. Vielleicht war das sogar gewünscht.

Nicht gewünscht dürfte allerdings die Diskussion ums Geld sein. Die Jury hatte es versäumt, dem Sieger die finanzielle Obergrenze für die Realisierung seines Entwurfes zu nennen. Die lag damals bei 20 000 Euro. Nach neuen Haushaltskürzungen liegt sie noch bei 18 000 Euro. Dummerweise hatte der Künstler sich schnell fleißig an sein Werk gemacht und ist nun seit Sommer mit der Gipsfigur fertig. Seine Arbeit und der Bronzeguss der Figur sollen rund 110 000 Euro kosten. Ein Schock für den Stadtrat. Der will nun in zwei Wochen darüber abstimmen, ob das Geld zusätzlich aus dem Haushalt zur Verfügung gestellt werden kann.

In der Bevölkerung sagen die einen, dass der Künstler nicht für Fehler der Stadt haften dürfe, und setzen sich für ihn ein. Die anderen schimpfen über die hässliche Figur, die zugleich zu viel Geld koste. »Ich finde, es ist zu teuer und es passt nicht zur Stadt. Und eine Märchenfigur ist das keine, das ist höchstens Rumpelstilzchen«, sagt eine 52-Jährige in der Lohrer Innenstadt. »Wäre das Kunstwerk an sich nicht so umstritten, würde es diese Diskussion so wahrscheinlich gar nicht geben«, sagt Lohrs neuer Bürgermeister Mario Paul. Der Franke muss das Dilemma seines Vorgängers nun ausbaden. Er versucht, einen Rechtsstreit zu vermeiden.

»Dem Künstler ist nichts vorzuwerfen. Er hat ein Anrecht auf die Realisierung seines Entwurfes«, sagt Paul. Der Ausschreibungstext von damals sei uneindeutig gewesen. Dennoch lasse er gerade prüfen, welche juristischen Möglichkeiten die Stadt hat, um die Kosten zu senken. »Wir müssen natürlich den rechtlichen Rahmen abklopfen.«

Künstler Wittstadt hat Verständnis für die Aufregung: »Ich mache moderne Kunst und die ist nicht jedermanns Sache. Das ist völlig normal.« Auf einen Deal, dass er sich nur Arbeitsaufwand und Materialkosten zahlen lässt, würde er sich nicht einlassen. Bei den Kosten für den Guss seiner Figur ist er der Stadt aber bereits entgegen gekommen. »Ich habe mich schon damit einverstanden erklärt, dass sie in Eisen statt Bronze gegossen wird.« Kostenersparnis 25 000 Euro.

Bürgermeister Paul kann dem Zoff durchaus Gutes abgewinnen: »Es ist in der Stadt eine Debatte über Kunst entstanden. Viele stellen sich die Fragen: Was ist Kunst? Muss man Kunst erklären? Das sind die positiven Züge dieser Diskussion.« dpa/nd

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