Menschenjagd
Tom Strohschneider über die Empörungswelle gegen die GDL
Das Onlineportal einer großen Tageszeitung schlagzeilt: »Stoppt diesen Mann!« Die Telefonnummer von Claus Weselsky ist auf einer Titelseite gedruckt worden, ein Magazin veröffentlicht Bilder vom Wohnhaus des GDL-Chefs - Überschrift: »So versteckt lebt Deutschlands oberster Streikführer«. Was kommt als nächstes?
Die aggressiver werdende Stimmungsmache gegen den Tarifkampf der Lokführer hat Züge angenommen, die jeden Rahmen sprengen. Was durch Soziale Netzwerke als trübe Brühe aus Vorurteil und gratismutiger Empörung schwappt, hat seine Köche in der Politik. Die tut gern so, als ob sie unbeteiligt an dem Konflikt ist, der zwischen einem Staatskonzern und einer Gewerkschaft ausgefochten wird, in einer Zeit, in der die Regierung das Streikrecht einschränken will. Unter dem DGB-Dach fällt vielen Funktionären nicht viel mehr ein, als die Lokführer zu beschimpfen. Die Sozialdemokraten appellieren an »Verantwortungsbewusstsein auf allen Seiten für unser Land« - als ob man die klassenpolitischen Interessenkonflikte in einer imaginierten Nation versenken könnte.
Richtig ist: Die GDL steht nicht unter politischem Naturschutz. Man kann deren Strategie und ihren Vorsitzenden kritisieren. Immerhin geht es um Dinge, die nicht bloß Lokführer interessieren dürfen: um ein Grundrecht, den politischen Wert von Streiks und die öffentliche Meinung über Klassenverhältnisse, Kompromiss und das Dilemma der Solidarität.
Eine Debatte darüber im Sinne aller Beschäftigten wird nicht möglich sein, solange die mediale Hatz auf den GDL-Chef anhält.
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