Fast 10000 Windräder drehen sich in Deutschland. Doch bleibt beim raschen Ausbau der Windenergie der Vogelschutz auf der Strecke?
Über 150 Teilnehmer debattierten letzte Woche auf einer Tagung an der TU Berlin über Vogelschutz und Windenergie. Zu den Auswirkungen auf die Vogelwelt wurden eine Reihe von Untersuchungen vorgestellt. Eine mehrjährige Studie des Frühjahrzuges von Kiebitzen ergab, dass diese nach dem Bau einer Windkraftanlage ihren traditionellen Rastplatz mieden bzw. nach dem Bau weiterer Windräder völlig aufgaben. Auf einer nahen Kontrollfläche mit Windrädern zeigten sich dagegen kaum Änderungen im Verhalten von Mäusebussarden oder Turmfalken. Großvögel wie Störche reagieren zum Teil empfindlich, wenn Windräder in der Nähe ihrer Brutstätten oder Flugkorridore errichtet werden. Es wurden aber auch schon Störche beobachtet, die elegant durch Windparks segelten.
Ganz anders verhalten sich offensichtlich Rebhühner. Eine Untersuchung in Niedersachsen ergab, dass die Rebhuhn-Dichte unter Windrädern fast doppelt so hoch war wie auf benachbarter Agrarlandschaft. Möglicher Grund: Die Unkrautinseln am Fuß der Windräder bieten den Rebhühnern Schutz. Wachtelkönige hingegen, so eine andere Studie, würden Windkraft völlig meiden, weil die Geräusche der Flügel ihre Rufe übertöne und so die Fortpflanzung störe.
Axel Steffen vom Brandenburger Umweltministerium merkte an, dass bisherige Untersuchungen zu Auswirkungen von Windkraftanlagen auf Vogelarten im Binnenland nicht repräsentativ seien und je nach Interessenlage eingesetzt würden. Auch andere Faktoren wie Nahrungs- und Lebensraumangebote oder die Nähe zu Siedlungen beeinflussten die Vogelwelt. Offensichtlich, so das Fazit der Diskussion, ist die Empfindlichkeit einzelner Arten niedriger ist als bisher angenommen, reagieren Brutvögel weniger empfindlich auf Windkraft als Rastvögel. Bekannt ist, dass sich der Vogelzug eng am geographischen Relief orientiert. Hier könnten Windkraftanlagen an sensiblen Punkten wie Flussläufen, Talsenken oder Höhenrücken durchaus aufs Zuggeschehen wirken. Die Schwierigkeit, das exakt festzustellen, bereitet sowohl Planern als auch Naturschutzbehörden Kopfzerbrechen, was sich in einer in Details verlierenden Diskussion und der Forderung nach »Naturschutz-Standards« niederschlug.
Cornelia Viertl vom Bundesumweltministerium wies darauf hin, dass sich der Windenergie-Ausbau an Land in den nächsten Jahren verlangsame, da die Standorte begrenzt seien. Windkraftanlagen sollten nun vor allem im Off-Shore-Bereich, also auf See, errichtet werden. Die BMU-Referentin kündigte Forschungsprogramme für den natur- und umweltverträglichen Ausbau der Windenergie im Off-Shore-Bereich an. Die Probleme ließen sich durch sorgfältige Standortplanungen minimieren. Doch gerade hier gab es im letzten Jahrzehnt Defizite. Zum Beispiel in Niedersachsen. Das Bundesland nimmt mit etwa 3000 Windenergieanlagen und einer installierten Leistung von 2000 Megawatt den Spitzenplatz in Deutschland ein. Nun sind an der niedersächsischen Nordseeküste Windparks auch in international bedeutsamen Vogellebensräumen errichtet worden. Oder wie es der Landschaftsplaner Matthias Schreiber formulierte: »Gegen das faktische Bauverbot in Rastvogelgebieten nach der EU-Vogelschutzrichtlinie ist in den vergangenen zehn Jahren in einer Vielzahl von Fällen verstoßen worden«. Und dies, obwohl nach einer Leitlinie des Niedersächsischen Umweltministeriums von 1993 bedeutende Vogellebensräume von Windrädern freigehalten werden sollten.
Insgesamt, so wird auch aus anderen Bundesländern geklagt, hätten die Steuerungsmöglichkeiten durch Landes- und Regionalplanungen nicht gegriffen. Die regionale Raumordnungsplanung habe die Probleme vielfach in die Bauleitplanung, also in die untere Ebene, verschoben. Hier fänden Untersuchungen aber erst statt, wenn die Entscheidungen praktisch schon gefallen seien. Hinzu kommen die sattsam bekannten Föderalismus-Probleme im deutschen Naturschutz. Während in Nordrhein-Westfalen zwei nahe bei einander stehende Windräder gar nicht erst als Eingriff in die Natur gelten, wurde in Niedersachsen die Pflicht zu naturschützerischen Ausgleichsmaßnahmen bis fünf Windkraftanlagen ausgesetzt. Brandenburg versucht, den Ausbau der Windkraft durch die Ausweisung von Eignungsgebieten zu steuern, die bestimmte Naturräume ausschließen sollen.
Einheitlich ist bislang nur das Fazit der für Naturschutz zuständigen Ländervertreter, die »grausame Entdeckung der Langsamkeit der Planung«, wie es Wilhelm Breuer vom Niedersächsischen Landesamt für Ökologie formulierte. Für die Dynamik, mit der sich Ausbau der Windenergie vollzog, erwiesen sich die herkömmlichen Planungsprozesse als zu träge und die kommunale Bauleitplanung insgesamt als ungeeignet. Doch der Boom bei neuen Anlagen hält an - mit Blick auf die engen Förderfristen des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes. Die unübersichtliche und komplizierte Lage bereitet nicht nur den Naturschutzbehörden Kopfschmerzen. Die abweichenden Genehmigungsverfahren sind auch für die Windenergiebetreiber problematisch, weil sie hohe Planungsaufwände und zum Teil eine Ungleichbehandlung nach sich ziehen. Die Frage, wie die »positive Wirkung« der Windenergie in lokale Genehmigungsverfahren einzubeziehen sei, konnte letztlich nicht geklärt werden. Im Gegenzug wurde wenigstens eine Selbstverpflichtung der Windenergie-Wirtschaft gefordert, die nicht nur nach dem Motto handeln könne: »Für den Schutz der Atmosphäre ist uns kein Teil der Biosphäre zu schade«.
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