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Biermann und der »elende Rest«

Zum Mauerfalljubiläum rechnet der Liedermacher im Bundestag mit der LINKEN ab

  • Fabian Lambeck
  • Lesedauer: 4 Min.
Wolf Biermann nutzte seinen Auftritt im Bundestag, um die Linkspartei zu beschimpfen. Doch es gab auch ernsthafte Debattenbeiträge im Plenum - allerdings nicht von Biermann.

Es waren schon außergewöhnliche Szenen, die sich dem Publikum auf den Tribünen des Bundestags am Freitag boten, als dort der 25. Jahrestag des Mauerfalls mit einer Debatte begleitet werden sollte. Als Debattenbeitrag der besonderen Art saß da ein alter Barde mit Schnauzbart und Gitarre neben dem Rednerpult und beschimpfte die Linksfraktion als »Reste der Drachenbrut«, die er einst besiegt habe. Der selbst ernannte Drachentöter und Liedermacher Wolf Biermann war von Parlamentspräsident Norbert Lammert (CDU) ohne Rücksprache mit den Fraktionsgeschäftsführern eingeladen worden. Zu Überraschung von LINKEN, Grünen und SPD, wie die Parlamentarische Geschäftsführerin der Linkspartei, Petra Sitte, dem »nd« am Freitag sagte. »Im Ältestenrat waren sich alle Geschäftsführer zuvor einig, dass es keinen eigenständigen Musikbeitrag geben sollte«. Erst am Dienstag habe sie erfahren, dass Biermann eingeladen sei, so Sitte.

Der Liedermacher bedankte sich dann auch bei Lammert und plauderte dessen Intentionen ganz offen aus: »Sie hoffen, dass ich den LINKEN ein paar Ohrfeigen verpasse«. Die setzte es dann auch - zumindest verbal. Dabei hatte Lammert erklärt, einschreiten zu wollen, wenn Biermann über die Stränge schlage. Doch der Parlamentspräsident unterbrach Biermanns Tirade nur einmal und verwies halbherzig auf die Geschäftsordnung des Bundestages, die solche Redebeiträge nicht vorsehe. Lammerts lahmer Appell, »Heute sind Sie zum Singen eingeladen«, verhallte ungehört. Biermann durfte sich weiter an der LINKEN abarbeiten. Kleine Kostprobe: Die LINKE sei »der elende Rest dessen, was zum Glück überwunden ist. Ich habe euch überwunden, als ihr noch an der Macht ward.« Dabei waren nur 17 der 64 Linksparlamentarier früher SED-Mitglied. Schließlich griff der Liedermacher, dessen Ausbürgerung im Jahre 1976 zu einem Massenexodus von DDR-Künstlern führte, tatsächlich noch in die Saiten und gab eine Version seines Songs »Ermutigung«.

Im Anschluss bedankte sich die Kanzlerin persönlich bei Biermann für dessen Auftritt bzw. LINKEN-Bashing. Der Liedermacher hatte sich im vergangenen Jahr als CDU-Wähler geoutet und Merkel als »meine Kanzlerin« bezeichnet. Auch Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) zeigte sich an der Seite Biermanns. Der Redebeitrag der SPD kam aber nicht von Gabriel, sondern von Ines Gleicke, der Ostbeauftragten der Bundesregierung. Für ihren Satz »Man kann die Mauer einordnen, aber man kann sie nicht rechtfertigen«, gab es viel Beifall. Keinen Applaus gab es hingegen für ihre Feststellung, dass die Mauer ebenso wie die DDR eine direkte Folge des verbrecherischen Zweiten Weltkriegs gewesen sei. Gleicke betonte, dass die Deutschen in Ost und West für diesen Krieg unterschiedlich bezahlt hätten. Mit Blick auf den Stand der Deutschen Einheit sagte sie, es sei noch ein ganzes Stück Weg zu gehen, »ohne Erbsenzählerei über die Kosten der Einheit«.

Linksfraktionschef Gregor Gysi erinnerte an die »historische Leistung aller Beteiligten in der DDR, dass es zu keinem Zeitpunkt damals Gewalt gab«. Der Fall der Mauer sei für die DDR-Bürger ein ungeheurer Befreiungsakt gewesen. »Niemals vor und nachher habe ich im Fernsehen so glückliche Gesichter gesehen, wie in dieser Nacht«. Der Fraktionschef bedauerte, dass es später statt einer Vereinigung nur einen Beitritt der DDR gegeben habe. Hätte man nur einige der DDR-Errungenschaften übernommen, hätte das nicht nur das Selbstvertrauen der Ostdeutschen gestärkt, sondern auch dazu geführt, »dass die Westdeutschen mit der Vereinigung eine Qualitätssteigerung erlebt hätten«. Nicht nur die DDR sei verschwunden, sondern auch die alter BRD, die deutlich sozialer gewesen sei als die heutige.

Auch Katrin Göring-Eckardt, die Fraktionsvorsitzende der Grünen, betonte in ihrer Rede, dass Deutschland heute ein anderes Land sei. »Die Selbstemanzipation eines Volkes begleitet uns bis heute«, so Göring-Eckardt. Die DDR sei politisch bankrott gewesen - ein Unrechtsstaat ohne demokratische Selbstbestimmung und Transparenz.

Der rechtslastige CDU-Abgeordnete Arnold Vaatz aus Sachsen meinte, die DDR-Bürger seien nicht Untertanen der SED, sondern der Sowjetunion gewesen. Es mache ihn nachdenklich, wenn er höre, wie eine Regierung in Kiew heute pauschal als faschistisch beschimpft werde.

Im Anschluss sang man im Plenarsaal die Nationalhymne. Für die musikalische Begleitung sorgte nicht Wolf Biermann, sondern ein Bläser-Trio.

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