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Nicht einfach nur traurig

In Deutschland beginnt der organisierte Frohsinn - derweil wird Twitter zum Austauschforum von Depressionsbetroffenen

  • Stephan Fischer
  • Lesedauer: 1 Min.

Twitter ist eines der flüchtigsten Medien überhaupt. So schnell wie Debatten, Shitstorms und Aufschreie aufploppen, verschwinden sie meist wieder unter der Wahrnehmungsschwelle. So erstaunt es nicht, dass an einem 11.11. die Hashtags #Helau und #Alaaf zum Thema Karneval dominieren. Die meisten Tweets werden an diesem Dienstag allerdings unter #NotJustSad (Nicht einfach nur traurig) abgesetzt: Unter Depressionen leidende Menschen schreiben über ihre Erfahrungen mit dieser Krankheit, ihrem Leben damit und den immer noch meist von Unverständnis geprägten Reaktionen ihrer Mitmenschen.

Vielleicht ist es Zufall, dass dieses Thema jetzt aufploppt, vielleicht hat es auch mit sich zum fünften Mal jährenden Todestag von Robert Enke zu tun. Der Torwart des Fußballbundesligisten Hannover 96 wählte im November den Suizid, danach dominierte das Thema »Depression« und auch Leistungsdruck die öffentliche Debatte. Viel hat sich seitdem neben wohlklingenden Worten nicht getan, wenn man die Äußerungen unter #NotJustSad zum Maßstab nimmt. Warum die Debatte für so viele wichtig ist, zeigen zwei Tweets:

Keine Frage, die Bloggerin Jana Seelig aus Berlin hat einen Nerv getroffen, als sie einfach über ihre Erfahrungen drauflos twitterte. Schnell stiegen andere User ein, der gemeinsame Hashtag #NotJustSad zur Bündelung der Diskussion gefunden und nach einem Tag ist das Thema das meistdiskutierteste in Deutschland auf Twitter. Allerdings zeigen sich auch jetzt schon wieder einmal die Schwächen von Twitter: Natürlich sind 140 Zeichen zu wenig für eine wirkliche Diskussion und außerdem darf jeder, der sich berufen fühlt, ein Thema zu kommentieren, dies auch tun. Das Bedürfnis, auch bei sehr ernsthaften Themen sinnlose oder verletzende Kommentare zu posten scheint durch freiwillige Beschränkungen, etwa aus Gründen der Empathie, der Etikette oder einfach nur des Verstandes, nicht zu beherrschen zu sein.

Kein Zweifel, durch den viralen Charakter lassen sich sehr schnell Debatten lostreten, Themen anreißen. Lösungen sollte jedoch keiner der User erwarten, die teilweise extrem offenherzig, manche zum ersten Mal von ihrer Erkrankung berichten. Es ist vielleicht ein gutes Gefühl, sich unter tausenden anderen Usern nicht so allein zu fühlen. Über die einzelnen Motive der anderen Nutzer, sich an der Debatte zu beteiligen, weiß er oder sie aber genau: nichts. Wenn Sie sich selbst in einer Krise befinden, finden Sie hier Hilfsangebote, unter der kostenlosen Hotline 0800-3344533 der Deutschen Depressionshilfe geben Psychologen Informationen zur Krankheit.

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