Kein »Superrecht auf Sicherheit«

Sachsen-Anhalts Polizeigesetz ist teils verfassungswidrig und muss deshalb geändert werden

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 3 Min.
Das Landesverfassungsgericht in Dessau-Roßlau kassierte u.a. die Ausspähung privater Computer durch »Trojaner«. Die Polizei darf allerdings weiterhin Funktelefonnetze abschalten oder stören.

Das Polizeigesetz von Sachsen-Anhalt verstößt in Teilen gegen die Verfassung des Landes. Etliche Regelungen seien nichtig, urteilte am Dienstag das Verfassungsgericht in Dessau-Roßlau. Andere Passagen dürfen nur eingeschränkt angewendet werden und müssen bis Ende 2015 geändert werden.

Wulf Gallert, Fraktionschef der oppositionellen LINKEN, sprach im Anschluss von einem »guten Tag für die Bürgerrechte«. Die Klage gegen die umstrittene Reform hatten 37 Abgeordnete von LINKEN und Grünen eingereicht. Das Gesetz war von CDU und SPD trotz starker Bedenken beschlossen und im April 2013 in Kraft gesetzt worden war.

Ausdrücklich nicht zulässig ist nach dem Richterspruch beispielsweise die durch Absatz 17c des Gesetzes eingeräumte Möglichkeit, Computer mithilfe so genannter Trojaner auszuspähen. Die Regelung sei in der jetzigen Form unverhältnismäßig, sagte Winfried Schubert, der Präsident des Verfassungsgerichts. Er verwies auf Aussagen des Innenministeriums in der mündlichen Verhandlung, wonach es entsprechende Programme noch gar nicht gebe. Der Gesetzgeber habe also offenbar nur »sehr vage Vorstellungen« davon gehabt, welche technischen Möglichkeiten überhaupt bestünden, sagte Schubert. In dieser »Situation der Unwissenheit« könne keine verantwortungsbewusste Entscheidung getroffen werden.

Als unverhältnismäßig sah das Gericht auch die vom Gesetz eingeräumte Möglichkeit an, den Verzehr und Verkauf von Alkohol an bestimmten Orten zeitweise zu verbieten. Einige Kommunen hatten auf eine derartige Regelung gedrängt, um Belästigungen durch Lärm, Müll oder Streitigkeiten zu unterbinden. Die Richter sahen darin aber einen unverhältnismäßigen Eingriff in Grundrechte.

Keine prinzipiellen Bedenken hatte das Gericht gegen die der Polizei eingeräumte Möglichkeit, bei vermeintlichen Gefahren Handynetze abzuschalten oder Störsender einzusetzen. Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit sei, anders als von den Klägern gerügt, dadurch nicht eingeschränkt. Der Umstand, dass die Organisatoren von Demonstrationen heutzutage oft Handys nutzen, stehe dem nicht entgegen. Die Kläger hatten gewarnt, Versammlungen könnten »nicht mehr steuerbar« sein.

Einen »legitimen Zweck« erkannte das Gericht auch darin, dass Polizisten bei Verkehrskontrollen Videoaufzeichnungen anfertigen. Es sei »nicht von der Hand zu weisen«, dass sich potenzielle Täter dadurch womöglich von Gewalttaten abschrecken lassen, so Schubert. Allerdings bemängelten die Richter einige konkrete Festlegungen. Der Landtag muss bis Ende 2015 nachbessern.

Auch die Anordnung ärztlicher Untersuchungen durch die Polizei ist prinzipiell zulässig; die Richter verlangten aber, dass ein Richtervorbehalt eingefügt wird. Die Regelung war getroffen worden, um eine Infektion von Einsatzkräften mit sehr gefährlichen Krankheiten zu unterbinden. Die Opposition hatte gerügt, die Regelung könne »diskriminierend angewendet« werden; Beamte könnten eine Untersuchung anordnen, nur weil ein Betroffener einem bestimmten Milieu angehöre. Das Gericht hielt die Regelung aber für verhältnismäßig, sofern ein Richter einbezogen wird. Das relativiere die Gefahr einer »diskriminierenden Anwendung«, sagte Schubert.

Für die Kläger hob Gallert mit Blick auf den Trojaner besonders hervor, dass »Vorratsgesetzgebung nicht zulässig« sei. Insgesamt habe das Verfassungsgericht mit seinem Urteil bestätigt, dass es »kein Superrecht auf Sicherheit« gebe. Zu den Wermutstropfen gehöre aus seiner Sicht, dass Teilnehmer von Versammlungen auf dem Weg dorthin bei Kontrollen gefilmt werden dürften. »Damit sind wir nicht zufrieden«, sagte Gallert.

Für das beklagte Innenministerium sagte Staatssekretär Ulf Gundlach, man habe »ein Stück weit dazugelernt«. Der CDU-Politiker hob aber hervor, die »alltägliche polizeiliche Praxis« sei durch das Gericht bestätigt worden. Insgesamt lautete daher sein Fazit: »Wir können mit dem Urteil leben.«

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