Der große Coup von »Robin Data«

Vor nunmehr drei Jahrzehnten: Die zweite Geburtsstunde des Chaos Computer Club

  • Harald Neuber
  • Lesedauer: 3 Min.
Vor 30 Jahren erleichterten zwei Hacker die Hamburger Sparkasse um 130 000 D-Mark - und verzichteten dann auf das Geld.

Der erste und bekannteste Computer-Angriff in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland begann denkbar einfach. Die beiden Beteiligten Wau Holland und Steffen Wernéry benötigten gerade einmal einen Taschenrechner und ein 31-Zeilen-Programm in der Programmiersprache BASIC, um den vermeintlich sicheren Onlinedienst Btx der Deutschen Bundespost zu knacken. 30 Jahre ist dieser »Btx-Hack« in der Nacht vom 16. auf den 17. November 1984 nun her. Der Coup von Holland und Wernéry schuf erstmals auch über die Grenzen der BRD ein Problembewusstsein für IT-Sicherheit. Und er gilt heute als zweite Geburtsstunde des drei Jahre zuvor in der taz-Redaktion gegründeten Chaos Computer Clubs (CCC).

Das Btx-System der westdeutschen Bundespost war eine Art Vorläufer des späteren Internets, das damals noch Militärs und akademischen Einrichtungen vorbehalten war. Für Kosten von einem Pfennig bis zu 9,99 D-Mark konnte man in dem posteigenen Btx-Terminal Seiten aufrufen oder Textnachrichten versenden. Völlig sicher, wie es vom Anbieter hieß. Bis Holland und Wernéry auf spektakuläre Weise das Gegenteil bewiesen.

Die beiden Hacker brachten mit ihrem BASIC-Kurzprogramm ein Relais dazu, über das Btx-Terminal der Hamburger Sparkasse (Haspa) eine Seite des Chaos Computer Clubs immer wieder aufzurufen. Jedes Mal stellte der Hacker-Verband der Haspa dafür 9,97 D-Mark in Rechnung. »Wir haben das Ding also bei Steffen in der Hütte gestartet, ich bin dann nach Hause«, erinnerte sich Holland Jahre später: »Ich weiß, dass Steffen wunderbar geschlafen hat, weil das Relais immer ›Klack-Klack, Klack-Klack‹ machte, und er wusste: zweimal Klack-Klack heißt 9 Mark 97.« Sie hätten nicht 9,99 D-Mark genommen, sondern 9,97 D-Mark, so Holland weiter: »997 ist die höchste Primzahl unter 1000, und es ist irgendwie blöd, wenn man den höchsten Betrag nimmt.«

Der erfolgreiche Angriff war eine peinliche Niederlage für die Bundespost, die damals der Lieblingsfeind der Hacker-Szene war, weil das einstige Staatsunternehmen eine restriktive Politik im Umgang mit Datennetzen verfolgte. Wer etwa kein offizielles Post-Modem benutzte, machte sich strafbar. Diese Befindlichkeiten mögen ein Grund sein, weshalb die Vertreter der Bundespost bis heute die Version von Holland und Wernéry bestreiten, ihnen sei der notwendige Zugangscode für das Haspa-Konto durch einen Fehler im Editiersystem in die Hände gefallen. Von der Bundespost und der späteren Telekom hieß es beharrlich, das Passwort sei ausgespäht oder gekauft worden.

Dessen ungeachtet war die Öffentlichkeitswirkung enorm. Als das ZDF-Heute-Journal zwei Tage später berichtete, dass zwei Leute mit Heim-Computern die Haspa über Nacht um rund 135 000 D-Mark (knapp 70 000 Euro) erleichtert hatten, schlug diese Nachricht von dem Coup ein wie eine Bombe. Der generöse Verzicht des CCC auf die Summe brachte den Hackern ein anhaltend positives Image - trotz aller Kriminalisierungsversuche. Von »Robin Data« war gar die Rede.

Zum Kult-Charakter des Btx-Hack trägt bis heute auch bei, dass der genaue Ablauf unklar ist. Holland starb 2001 an den Folgen eines Schlaganfalls im Alter von nur 49 Jahren. Zum Jahrestag hat die nach ihm benannte Stiftung einige Dokumente zum damaligen Geschehen ins Netz gestellt, darunter auch den BASIC-Programmtext. Und am heutigen Montagabend werden die verbliebenen Protagonisten im Berliner Congress Center ab 19 Uhr am Alexanderplatz noch einmal die Möglichkeit haben, ihre Argumente auszutauschen. Mit dabei sind Wernéry und Eric Danke, der damalige Btx-Projektleiter. Der Eintritt ist frei.

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