Gott verhüte eine Erektion

Wie einer einmal versuchte, in Israel ein nichtreligiöses Klo zu finden: Tuvia Tenenboms Reisebericht »Allein unter Juden«

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 6 Min.

Wir haben es hier mit einem irren Land zu tun. In der heiligen Stadt Jerusalem findet der US-amerikanische Journalist und Schriftsteller Tuvia Tenenbom zu seinem Ärger weit und breit keine Toilette, die sich nicht in einem Gotteshaus oder an sonst einer religiösen Stätte befände. Irgendwann bricht es dann aus ihm heraus: »Ich bin wild entschlossen, ein nichtreligiöses Klo zu finden.« Als seine Suche schließlich von Erfolg gekrönt ist, ist er erleichtert, denn jetzt kann er - nach einer langen Odyssee durch die Innenstadt - pinkeln, »ohne die Fatiha aufsagen oder eine Kippa aufsetzen zu müssen«. Und im nicht minder heiligen Hebron gewinnt er den Eindruck, es brauche »Doktortitel in Mystik, Philosophie, Ingenieurswesen und vielleicht auch Hinduismus«, um »die Aufteilung in arabische und jüdische Wohnviertel nachzuvollziehen«.

Tenenbom ist ein knuffiger und lustiger Mann. Und er hat eine ausgeprägte Vorliebe für leibliche Genüsse bzw. fürs Essen, für Schokoladenkuchen und Cola, eine Vorliebe, über die er freimütig spricht und die man ihm auch ansieht. Und wie man bemerkt, hat er keine allzu große Ehrfurcht vor religiösem Bimbam. Er spricht Englisch, Hebräisch, Deutsch. Wenn er als Journalist unterwegs ist und verschiedenste Menschen zum Gespräch trifft, was er allem Anschein nach für seine Reportagen ausgiebig und nicht ohne Vergnügen tut, schlüpft er gern in verschiedene Identitäten, denn er ist ein Schelm: Im Beisein judenkritischer Israelis verwandelt er sich gern in einen Deutschen, und ebenso rasch wird der Jude Tenenbom zum Muslim, wenn es beispielsweise darum geht, in Jerusalem Zugang zu einer heiligen Stätte des Islam zu erhalten. Religiösen und politischen Mummenschanz jeder Art nimmt der Mann, der selbst religiös erzogen worden und als Sohn eines Rabbiners aufgewachsen ist, nicht ganz ernst. Was ihn wiederum davor schützt, zum Dogmatiker oder Verteidiger eines Glaubens zu werden.

Anfang des vergangenen Jahres geriet er in die Schlagzeilen, weil er auf einer Neonazi-Demonstration in Magdeburg den Hitlergruß gezeigt hat, als »Performance«, um, wie er sich später rechtfertigte, »für kurze Zeit einer von ihnen zu werden« (Tenenbom) und so leichter einen von ihnen interviewen zu können. So gelingt es ihm bisweilen, aus seinen Gesprächspartnern ehrliche Antworten herauszukitzeln, ihnen Aussagen zu entlocken, die sie unter anderen Umständen nicht getätigt hätten. Denn sie vertrauen ihm: dem Deutschen, dem Israeli, dem Juden, dem Christen, dem Muslim, dem Nazi. Dem, der einer von ihnen ist. Tenenbom weiß: In der Annahme, sie hätten einen Verbündeten vor sich, offenbaren die Leute mehr von sich, als wenn man ihnen gegenüber sofort seine tatsächliche Identität preisgibt.

Tenenbom macht sich gerne lustig: über andere, aber auch über sich selbst. Vor zwei Jahren gelang ihm mit seiner Reisereportage »Allein unter Deutschen«, mit der er eine Art komisches Psychogramm der von Untertanengeist beseelten wie von Allmachtsfantasien besessenen Deutschen lieferte, ein großer Bucherfolg. »Die Deutschen bewegen sich gemeinsam, gehen gemeinsam, feiern gemeinsam, handeln gemeinsam und denken gemeinsam«, hieß es darin. »Vielleicht sollte nicht ein Adler Deutschlands Nationalsymbol sein, sondern ein Lamm. Ich will niemandem zu nahe treten; auch Lämmer sind etwas Feines. Ich mag Lämmer. Wirklich.«

Mit demselben Blick und derselben Neugier ist Tenenbom nun durch sein Geburtsland Israel und die palästinensischen Gebiete gestapft, um dort am Ende Ähnliches festzustellen wie in Deutschland: Man hat es fast nur mit Verrückten zu tun bzw. mit einem Land »der Gegensätze, in dem durch irgendeine merkwürdige Naturgewalt keine zwei Menschen gedanklich zueinanderfinden dürfen. Ja, Anhänger und Herden gibt es in Hülle und Fülle, aber auch sie spalten sich in so viele Grüppchen und Untergrüppchen, dass sie einfach nicht mehr zu zählen sind.« Wohlgemerkt: Die Rede ist hier von Israel, nicht von der deutschen Linken.

Die Israelis und Palästinenser sind offenbar nur auf andere Art bescheuert als die Deutschen: Da sind etwa die ultraorthodoxen Juden, die »es gerne einen Tacken heiliger haben« als andere und deren Ehefrauen »aussehen wie große schwarze Müllsäcke«. Diese werden auch »als ›Taliban‹ bezeichnet, weil sie ›züchtigere‹ Kleidung tragen als die gottesfürchtigsten Saudiladys«. Dann gibt es da noch die mit jeder Faser ihres Körpers Juden hassenden radikalen Palästinenser, die für ausnahmslos alles, sei es auch ein eingewachsener Zehennagel, »die Besatzung« und »die Juden« verantwortlich machen und die den Journalisten Tenenbom während des Ramadans partout nicht rauchen lassen wollen. Außerdem hat man es natürlich mit den Linken und ihrem jüdischen Selbsthass sowie den diversen durchgeknallten Christensekten (katholisch, griechisch-orthodox, armenisch) zu tun, die sich in der Bethlehemer Geburtskirche um einen Viertelquadratmeter Fläche streiten: »Der Fluch des Herrn komme über dein Haupt, wenn du einer der Konfessionen angehörst und in der Sektion der anderen zu beten versuchst.«

Nicht zu vergessen natürlich auch die deutschen Nichtregierungsorganisationen, unvermeidlichen »Friedensaktivisten« und Journalisten, die von Israel und dem Nahostkonflikt geradezu besessen sind, rund um die Uhr einen israelischen »Rassismus« am Werk sehen wollen und sich immer wieder zwanghaft ausgerechnet auf diesen kleinen Staat stürzen, das einzige Land in der gesamten Region, wo man an einem Strand homosexuelle Paare händchenhaltend neben religiösen Orthodoxen spazierengehen sehen kann. »Warum interessieren sich Deutsche nicht für Tschetschenien oder den Sudan? Oder die Lage der Palästinenser in den arabischen Ländern? Denen geht es da gar nicht gut«, sagte Tenenbom kürzlich in einem Interview mit der Zeitschrift »Cicero«.

Tenenbom, der sich in seinem neuen Buch weder auf die israelische noch auf die palästinensische Seite schlägt, mag vor allem die europäischen Journalisten nicht, denen er immer wieder begegnet ist und die ausnahmslos alles glauben und brav mitschreiben, was man ihnen über Israel erzählt oder ins Mikro diktiert, ohne kritisch nachzufragen und ohne dass sich in ihnen auch nur eine Spur des Gedankens regte, ihr jeweiliges Gegenüber - etwa ein Sprecher der islamistischen Hamas - verbreite die Propaganda, für die es bezahlt wird.

Ihre Faxen treiben alle: Militante Palästinenser, israelische Linke und Rechte, ausländische Korrespondenten und die charedischen Juden, denen etwa Restaurants ein »Werkzeug des Teufels« sind, denn: »Schließlich können in Restaurants Frauen und Männer zusammentreffen, woraufhin die Männer, was Gott verhüte, eine Erektion bekommen könnten, wenn sie in ein Hühnerbein beißen, während sie eine Taliban betrachten.« Da ist der charedische Jude dem radikalen Muslim und dem fundamentalistischen Christen womöglich sehr viel näher, als er will.

Wie gesagt: Ein irres Land. Und ein gutes Buch.

Tuvia Tenenbom: Allein unter Juden. Eine Entdeckungsreise durch Israel. Aus dem Englischen von Michael Adrian. Suhrkamp-Verlag, 474 S., 17 €. An diesem Donnerstag, dem 20. November, spricht der Autor in Berlin mit Sebastian Engelbrecht (Deutschlandradio) über sein Buch. 20 Uhr, Volksbühne, Roter Salon, Eintritt: 6 €.

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