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Kopfgeldjagd mit Keiler

Der Texaner Joe R. Lansdale führt seine Leser zum Ort des Wahnsinns

  • Ingolf Bossenz
  • Lesedauer: 3 Min.

»Das Problem ist, mein Junge, dass es auf keiner Seite des Zauns jemanden gibt, den es kümmert, was du tust. Gott ist nur eine Idee, und der Teufel, das sind wir.« Ein Satz, dem Joe R. Lansdale in seinem neuesten Roman in allen Facetten, Absurditäten, Widerwärtigkeiten literarische Gestalt verleiht - bis hin zu jemen »Ort des Wahnsinns, wo jedes bisschen Anstand und die Gesetze der Menschen ebenso albern waren wie ein Esel, der Spitzenunterwäsche trug«.

Die kreative Besessenheit des texanischen Autors (geboren 1951) äußert sich nicht nur im unablässigen Werk-um-Werk- Ausstoß, der sich durchaus mit dem des manischen Vielschreibers Karl May messen kann. Noch faszinierender ist der dabei zu Tage tretende Genremix, besser: das Pfeifen des Verfassers auf jedwede Art von Genretheorien oder -einhegungen.


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* Joe R. Lansdale: Das Dickicht. Roman. A. d. Engl. v. Hannes Riffel.
Tropen Verlag. 336 S., geb., 19,95 €.


»Das Dickicht« ist auch als Roman ein solches. Ein Dickicht aus Rachewestern, Pulp Fiction, grandioser Groteske und philosophischer Gebrauchsanleitung. Voll verstörender Metaphorik wie William Faulkners »Freistatt«. Eine »Göttliche Komödie«, in der das Paradies fehlt und ein kleinwüchsiger Vergil die Racheengel durch die Hölle führt. Shorty, der Liliputaner, ist nämlich nicht nur Hobbyastronom, sondern auch Kopfgeldjäger und wird vom 16-jährigen Jack Parker angeheuert, um dessen 14-jährige Schwester Lula aus der Gewalt von Banditen zu befreien. Mit von der Partie sind Eustace Cox, ein riesiger Schwarzer mit ebenso gewaltigen Alkoholproblemen, und sein großer schwarzer Eber »Keiler« (»mindestens sechshundert Pfund schwer« und mit Hauern, »die so lang und massiv wirkten wie die Schneide einer Axt«). Hinzu kommen: Jimmie Sue, die nicht länger als Hure im Puff einer maroden Bretterbudenstadt arbeiten will; Sheriff Winton, der mit Kopfgeld sein schmales Salär als Gesetzeshüter aufbessern möchte; Wintons Gehilfe Spot, der sich als Banditenjäger ebenso glücklos aufführt wie als Deputy.

Je tiefer das absonderliche Aufgebot in das Dickicht vordringt, in dem die Gangster mit der entführten Lula hausen sollen, umso mehr gewinnt man Einblick in das Dickicht der Seelen und Sinne mit ihren unterdrückten und verborgenen Leiden und Leidenschaften. Das Herz der Finsternis ist eiskalt.

Doch auch, wenn immer mal wieder »tropfendes Fleisch« an der Wand hängt oder in einem zerschlissenen Paar Hosen »noch ein Großteil der Beine steckt«, ist die illustre Mannschaft nicht nur auf der Suche nach den Gangstern, sondern irgendwie auch nach dem Sinn des Lebens. Shorty, der in freien Minuten Reiseberichte von Mark Twain (ein weiterer Inspirator Lansdales) liest, fasst seine Lektüre in die Worte: »Es macht mir Lust, alles Mögliche zu tun, nur nicht das, was ich gerade mache.«

Das trifft wohl auf jeden der Akteure zu, die da in Gesellschaft eines schwarzen Schweins dem Schmutz das Schmutzige entgegensetzen, die schießen, stechen und schlagen, für die das Töten und Brennen zum Menschlichen, Allzumenschlichen wird, um im Namen der Menschlichkeit ein Leben zu retten. Ein schicksalhaftes Dickicht, doch darin Shortys anachronistische Gewissheit: »Aber irgendwo unter all diesen Handlungen verbirgt sich ein Plan.«

Im furios-genialen Showdown findet Shorty tatsächlich sein Ziel, als er auf eine abenteuerliche Entfernung den fliehenden Cut Throat, den Oberüblen, anvisiert, trifft, tötet, damit das Leben Lulas rettet und seinem eigenen eine nie erahnte Wendung gibt. Das ausgelutschte Diktum, jede Krise sei eine Chance, überführt Joe R. Lansdale literarisch so in eine ebenso skurrile wie nachdenklich stimmende Symbolik. Shorty: »Die Ladung war doch schwerer, als ich vorausberechnet hab. Wäre er nur fünf Meter weiter entfernt gewesen, hätte ich ihn verfehlt.« Jack: »Haben Sie aber nicht.« Und darauf kommt es am Ende schließlich an.

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