Kretschmann will »humanitär abschieben«

Mehrheit der Grünen versöhnt sich mit dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten

  • Aert van Riel, Hamburg
  • Lesedauer: 3 Min.

Sprachlos steht Winfried Kretschmann auf dem Podium in der Hamburger Sporthalle. Der baden-württembergische Ministerpräsident sieht direkt auf Plakate und Schilder, die von Mitgliedern der Grünen Jugend in die Höhe gehalten werden. Darauf steht »Refugees welcome« und »Asyl ist ein Menschenrecht«. Es ist ein Protest auf der grünen Bundesdelegiertenkonferenz gegen die Zustimmung Kretschmanns im Bundesrat zur Einstufung von Bosnien-Herzegowina, Serbien und Mazedonien als sogenannte sichere Herkunftsländer. Die Große Koalition war bei dieser Entscheidung auf die Mehrheit der Bundesländer angewiesen. Vor wenigen Wochen hatte Baden-Württemberg als einziges der grün-mitregierten Ländern mit Ja gestimmt.

Kretschmann kratzt sich am Kopf. Dann setzt er seine Rede fort. Die Aktion der Parteijugend kommentiert er nicht. Die Protestierenden ziehen langsam aus dem Saal. »Ich habe vor meiner Entscheidung im Bundesrat mit mir gerungen«, sagt Kretschmann. Doch letztlich hätten die im Kompromiss vereinbarten Verbesserungen bei der Residenzpflicht und beim Arbeitsmarktzugang für Flüchtlinge für ihn den Ausschlag für seine Zustimmung gegeben. Die Verantwortung für Roma, die in den drei Balkan-Staaten diskriminiert werden, sieht er keineswegs bei Deutschland. »Die Europäische Union sollte sich bei den Beitrittskandidaten stärker für Menschen- und Minderheitenrechte einsetzen«, verlangt Kretschmann.

In der Halle stößt das auf viel Zustimmung. Zahlreiche Delegierte klatschen und johlen. »Wir können das Problem nicht einfach durch das Asylrecht lösen«, fügt der Baden-Württemberger hinzu. Um die Parteibasis davon zu überzeugen, dass er nicht in der CDU besser aufgehoben wäre als bei den Grünen, erklärt Kretschmann, die Christdemokraten wollten eine krachende Abschiebepolitik durchsetzen. Mit ihm werde es ein Abrücken von einer humanitären Abschiebepolitik nicht geben. Am Ende erhält Kretschmann großen Beifall, die baden-württembergischen Delegierten erheben sich nahezu geschlossen.

Es folgt eine Debatte, in der Gegner und Unterstützer von Kretschmann noch einmal ihre Argumente der vergangenen Wochen vorbringen. »Wir haben ein Glaubwürdigkeitsproblem«, sagt Theresa Kalmer, Sprecherin der Grünen Jugend. Sie verweist darauf, dass viele Menschen aus der Partei ausgetreten seien. Zudem hätten sich Flüchtlings- und Menschenrechtsinitiativen von den Grünen distanziert.

Dagegen gibt es neben vielen Realos auch Parteilinke, die heftige Worte gegen Kretschmann ablehnen. Eine von ihnen ist die Europapolitikerin Ska Keller. Sie meint, dass es schwierig sei, wenn die Große Koalition den Grünen »unmoralische Angebote« mache. »Realpolitik ist nichts anderes als Trippelschritte. Also lasst uns diesen Weg gehen«, sagt Keller.

Im Parteivorstand, der einen Antrag zur Flüchtlingspolitik vorgelegt hatte, in dem der einzige grüne Ministerpräsident namentlich nicht erwähnt wird, hofft man, die Diskussionen um Kretschmann mit der Parteitagsdebatte abschließen zu können. Die Grünen-Vorsitzende Simone Peter erklärt, dass man die unterschiedlichen Haltungen in der Partei aushalten müsse. Gegner in der Flüchtlingspolitik sei hingegen die Große Koalition. Nun gehe es darum, gegen diese eine Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes durchzusetzen. »Die Länder werden im Bundesrat für Verbesserungen kämpfen, da stehen wir zusammen«, so Peter.

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