Die Diva und das Sternchen

Im Kino: »Die Wolken von Sils Maria« von Olivier Assayas

  • Caroline M. Buck
  • Lesedauer: 5 Min.
Wenn der Pariser Filmemacher Olivier Assayas früher Filme mit starken Frauenfiguren drehte, dann waren die häufig das, was man als »ziemlich ausgeflippt« bezeichnen könnte - hier sind die Frauen zurückhaltender.

Es ist eine Binsenweisheit, dass jedes (Berufs-)Leben neben einem Anfang leider auch ein Ende hat. Filmschauspielerinnen, auch das ein Gemeinplatz, erleben diese Wahrheit schneller, härter und dramatischer am eigenen Leib: Wer die dreißig überschreitet, kriegt nur noch Mutter- oder Nebenrollen, und ist man einmal über vierzig, wird jedes weitere Rollenangebot zum Geschenk. Keine besonders aufregende Ausgangsidee für einen Film von rund zwei Stunden, sollte man meinen - und läge damit gänzlich falsch.

Wenn der Pariser Filmemacher Olivier Assayas (Jahrgang 1955) früher Filme mit starken Frauenfiguren drehte, dann waren die häufig das, was man als »ziemlich ausgeflippt« bezeichnen könnte - sein Film mit Hongkong-Diva Maggie Cheung als Starbesetzung einer modernen, in hautenges Latex gezwängten Version der kinematographischen Meisterdiebin »Irma Vep« ist da nur ein Beispiel. In Assayas’ neuem Meisterwerk, »Die Wolken von Sils Maria«, sind die zentralen Frauenfiguren zurückhaltender (älter auch, in einem, dem wesentlichen Fall), aber dafür sind es ihrer gleich drei. Zusammen bilden sie ein ebenso unaufgeregt vorgeführtes wie atemberaubend facettenreiches Porträt weiblicher Wesenszustände, Lebensphasen, Beziehungen und Zukunftsperspektiven.

Wie »Irma Vep« thematisiert »Die Wolken von Sils Maria« aber die Fragen von Kunst und Kommerz: den relativen Stellenwert emotionaler Wahrhaftigkeit beim Rollenspiel vor Zuschauer und Kamera, das künstlerische Gewicht eines global verkäuflichen Hollywood-Action-Streifens gegenüber dem des vielleicht schwerer zugänglichen, und/aber gedankenschwereren europäischen Autorenkinos. Dass Assayas seine Karriere als Filmkritiker bei den legendären »Cahiers du Cinéma« begann, ist dabei scheinbar ebenso wenig ein Zufall wie seine relativ zügige Abkehr von der Theorie zugunsten eines Sprungs mitten hinein in die künstlerische Praxis.

Für Frankreichs Filmstar Juliette Binoche schrieb Assayas Mitte der 80er Jahre sein erstes produziertes Drehbuch: »Rendez-vous« (Regie und Ko-Autor: André Téchiné), die Geschichte einer Jungschauspielerin aus der Provinz, die nach wechselnden Männergeschichten am Ende kurz vor ihrem Pariser Durchbruch steht. In seinem eigenen »L’Heure d’été« arbeitete er 2008 noch einmal mit Binoche, diesmal in einer herzzerreißenden Erbschaftsgeschichte um Tod und Vergänglichkeit und die schwierige emotionale Loslösung von einer Schatztruhe voller Gemälde, Antiquitäten und familiärer Vergangenheit in Zeiten der globalen Zerstreuung und Zersplitterung. Weil Binoche dort aber nur als Teil eines Trios uneiniger Erben auftrat, schuldete Assayas ihr noch eine Hauptrolle - so hatten sie es damals abgemacht.

Und was für eine Rolle das nun geworden ist! Binoche spielt Maria Enders, ein internationaler (und daher meist Englisch sprechender) Star mit französischen Wurzeln, Muse eines eigenbrötlerischen Dichters. Für den soll sie gerade einen Lebenswerkpreis entgegennehmen, als der Film einsetzt - da befindet sie sich mit ihrer persönlichen Assistentin Val im Zug auf dem Weg zur Verleihungsfeier nach Zürich. Des Dichters Stück - über die Maloja-Schlange, eine bizarre Wolkenformation am Maloja-Pass nahe des Wander- und Wintersportorts Sils-Maria im Schweizer Engadin - bescherte ihr einst Traumrolle und Weltkarriere (und diesem Film seinen Titel).

Mit jener Rolle der jungen, wilden Sigrid identifiziert sich Maria Enders bis heute - und ist deshalb einigermaßen vor den Kopf gestoßen, als ein ebenso visionärer wie manipulativer Theatermann (Lars Eidinger) ihr anlässlich der Zürcher Ehrung anträgt, nun für ihn die Altersrolle im selben Stück zu spielen: die scheiternde Unternehmerin Helena, die sich aus enttäuschter Liebe zur unsteten Sigrid umbringt - damals zu allem Überfluss gespielt von einer Kollegin, die wenig später verunglückte.

Ein Rollenangebot, das Maria jäh mit der Außensicht auf ihre Person und Karriere konfrontiert: Ist die Sigrid in ihr längst Vergangenheit, ihre Zukunft nichts als Kontrollverlust, (Karriere-)Ende und Tod? Die perspektivische Neuausrichtung, die das unaufhaltsam nahende Alter irgendwann von jedem von uns fordert, legt sich wie die Maloja-Schlange über die Entscheidung der Diva, den selben Text während eines Aufenthalts in der Dichtervilla in Sils-Maria nun noch einmal aus der anderen, der Verliererperspektive, zu repetieren. Die eindrucksvolle Wolkenformation selbst, atmosphärischer Vorbote kommenden Unwetters, zeigt Assayas gleich zweimal: einmal »live« und in Farbe und einmal in einem Bergfilmausschnitt von Arnold Fanck aus den 20er Jahren in historischem Schwarzweiß.

Als hyper-effiziente Assistentin und jüngere Vertraute an der Seite der Diva brilliert »Twilight«-Hauptdarstellerin Kristen Stewart - ausgerechnet Kristen Stewart, möchte man sagen, nur um dann festzustellen, wie punktgenau die Besetzung ist: Stewarts nüchtern-geradlinige Haltung, ihr naturalistischer Stil sind eine perfekte Folie für Binoches emotionaleres, mehrschichtiges, immer leicht exaltiertes Spiel. Nachwuchstalent Chloë Grace Moretz (»Hugo Cabret«) bringt als neue Sigrid-Besetzung die dritte Facette bei: die angesagte Celebrity des Augenblicks, permanent gejagt von den Paparazzi der Klatschblätter, denen sie auch reichlich Futter liefert, erfahren im Umgang mit volldigitalen Image-Kampagnen und den neuen Medien, und mit gerade genug Eve Harrington in ihren atemlosen Begeisterungsbekundungen über die kommende Zusammenarbeit, um Maria Enders’ schlimmste Befürchtungen zu bestätigen.

Hanns Zischler als rampensäuischer Ex-Kollege der Diva und selbsternannter Hüter des dichterischen Erbes sowie Angela Winkler als distanzierte Dichterwitwe Rosa vervollständigen die Besetzung. Fassbinders Petra von Kant spukt im Hintergrund durch die Gedankengänge, Musik von Händel und Pachelbel untermalt die schwimmende Neupositionierung, die Maria und Val in ihren Leben vornehmen müssen.

Wie Assayas ihre Gespräche im Haus, im Garten und bei einer entscheidenden Bergwanderung zwischen den Dialogen des Stücks und den eigenen Worten changieren lässt, so dass man einen kurzen Moment braucht, sich der Wirklichkeitsebene zu vergewissern, auf der sie sich gerade befinden, ist dabei selbst nichts weniger als musikalisch.

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