Kometen-Hüpfer und neue Gen-Buchstaben

Was die großen Wissenschaftsjournale als Durchbrüche und Pleiten des Jahres 2014 sehen

  • Steffen Schmidt
  • Lesedauer: 5 Min.

Für den Kometenlander «Philae» waren es nur drei Hüpfer, einige Hammerschläge und - vielleicht - ein Bohrloch. Doch für das renommierte US-Wissenschaftsjournal «Science» ist es der «Durchbruch des Jahres» 2014, und auch das britische Konkurrenzblatt «Nature» kürte Andrea Accomazzo, den Flugdirektor der «Rosetta»-Mission, die das Mini-Labor «Philae» trug, zum wichtigsten Menschen des Jahres für die Wissenschaft. Dabei war die Landung des Mini-Labors «Philae» auf dem Kometen «67P/ Tschurjumow-Gerassimenko» bisher nur ein halber Erfolg. Statt sich wie geplant mit seiner Harpune im Kometenboden zu verankern, hüpfte die Sonde über den Kometen. Als «Philae» dann doch einen festen Standort gefunden hatte, war der so ungünstig, dass die Solarzellen die Batterien nicht aufladen konnten. Dennoch gelangen der Sonde die meisten Messungen. Zu den Überraschungen dabei zählt die außergewöhnliche Härte des Kometenbodens unter einer 10 bis 20 Zentimeter dicken Staubschicht.

Die erstmalige Landung eines menschlichen Fluggeräts auf einem Himmelskörper jenseits der Marsbahn nach einem zehnjährigen Flug ist nicht nur eine technische Meisterleistung, wie sie «Nature» den Wissenschaftlern der Europäischen Raumfahrtorganisation ESA bescheinigt. Die von der Muttersonde «Rosetta» aus der Umlaufbahn um den Kometen gelieferten Daten werfen ein neues Licht auf die Entstehung und Entwicklung solcher Kometen, begründen die «Science»-Herausgeber ihre Entscheidung. Und - insofern sind es wohl auch Vorschusslorbeeren - die Astronomen erwarten von der weiteren Begleitung des Kometen auf dem Flug zur Sonne und dann wieder in die Tiefe des Alls noch eine Fülle weitere Erkenntnisse über die Entstehungsgeschichte unseres Sonnensystems. In Sonnennähe hofft die ESA auch, dass «Philae» noch mal genug Licht abbekommt, um seine Batterien wieder aufzuladen. Vielleicht kommt dann doch noch eine genauere Analyse des Kometenmaterials zustande.

Auch bei einer weiteren Wissenschaftsleistung des Jahres waren sich «Nature» und «Science» 2014 einig: Sie würdigten ein Team um die in Indien geborene Ingenieurin Radhika Nagpal, die am Massachusetts Institute of Technology in den USA einem Schwarm von 1024 relativ primitiven Minirobotern beigebracht hat, miteinander zu kommunizieren und zusammenzuarbeiten wie soziale Insekten.

«Nature» fand noch eine weitere Raumfahrtleistung hervorhebenswert: Der Chef der indischen Raumfahrtorganisation ISRO, Koppillil Radhakrishnan, kam in die Top Ten der britischen Zeitschrift, weil er die erste erfolgreiche Marsmission seines Landes geleitet hat. Die indische Sonde «Mangalyaan» war am 24. September in eine Umlaufbahn um den Roten Planeten eingeschwenkt.

Auch für «Science» gab es auf den Plätzen noch eine Tendenz in der Raumfahrt zu würdigen. Seit einigen Jahren entwickeln vor allem Studenten Minisatelliten, die als billige Huckepackfracht mit großen Satelliten oder auch von der Internationalen Raumstation ISS aus gestartet werden. Diese Minisatelliten werden wegen ihrer häufigen Würfelform englisch «Cubesat» genannt: Trotz ihrer geringen Größe von zehn mal zehn Zentimetern hätten sie 2014 wertvolle Forschung betrieben. Mehr als 75 von ihnen wurden gestartet, das ist bisheriger Jahresrekord. Was bei «Science» allerdings keine Erwähnung findet, sind die Schattenseiten einer wachsenden Zahl kleiner Billigsatelliten. Oft kreisen sie auf zu hohen Bahnen, wo sie kaum abgebremst werden. Eigene Triebwerke besitzen sie auch nicht. Deshalb werden viele von ihnen nicht verglühen, wenn sie ausgedient sind. Damit besteht die Gefahr, dass sie die ohnehin wachsende Wolke von Weltraumschrott noch vergrößern. Immerhin gibt es in Europa und den USA Forschungsprogramme zur passiven Abbremsung solche Minisatelliten durch eine Art Segel.

Womöglich noch zweischneidiger ist eine weitere Forschungsarbeit aus der «Science»-Hitliste, die bei einer Leserumfrage des Blattes noch vor der Kometensonde auf Platz eins kam: Ein Team von US-Biochemikern bastelte sich zu den in der Natur vorhandenen vier «Buchstaben» des Erbmoleküls DNA zwei zusätzliche synthetische. Die wurden ins Erbgut eines Escherichia-coli-Bakteriums eingebaut, wo sie dann auch korrekt weitergegeben wurden. Noch ist offen, ob dieser Meilenstein der synthetischen Biologie auch erweiterte Fähigkeiten des Bakteriums mit sich bringt. Ebenso offen ist allerdings, ob uns solche Fähigkeiten dann auch gefallen.

Auch die Stammzellen finden sich in diesem Jahre wieder in den Listen von «Science» und «Nature». So ist laut «Science» die Chance näher gerückt, entweder mit embryonalen oder aber auch mit den weniger umstrittenen «induzierten pluripotenten» Stammzellen (iPSZ) die bei Typ-I-Diabetes geschädigten Insulin produzierenden Zellen der Bauchspeicheldrüse wiederherzustellen. Und «Nature» kürte die japanische Augenärztin Masayo Takahashi wegen des ersten Einsatzes von iPSZ zur Therapie einer altersbedingten Netzhautschädigung.

Die Medizin ist noch mit zwei weiteren Leistungen auf der Liste der wissenschaftlichen Durchbrüche« des Jahres zu finden. Ein Forscherteam verabreichte älteren Mäusen das Protein GDF11 aus dem Blut junger Tiere und beobachtete die Regeneration von Muskeln und Gehirn. Eine weitere Gruppe berichtete, dass Blut oder Plasma junger Mäuse das Gedächtnis älterer stärkt. Jetzt läuft ein Versuch, bei dem Alzheimer-Patienten Blutplasma von jungen Spendern bekommen.

Auf einem weiteren Platz bei »Science« findet sich eine Gruppe japanischer und US-Neurobiologen, denen es mit einem Laser-Lichtstrahl gelang, das Gedächtnis von Mäusen so umzuprogrammieren, das Angst-Erinnerungen gelöscht worden sind. Ob und wann dieses Optogenetik genannte Verfahren jedoch geeignet sein wird, Krankheiten wie die posttraumatische Belastungsstörung zu behandeln, da wagen auch die »Science«-Redakteure keine Prognose.

In der Medizin sieht das US-Fachblatt allerdings für das zu Ende gehende Jahr nicht nur Gründe zum Feiern. Denn als »Versagen des Jahres« nennt das Journal die absolut unzureichende und verspätete Reaktion der Weltgemeinschaft auf den Ebola-Ausbruch in Westafrika. Das britsche Medizinerjournal »The Lancet« allerdings kann diesem unerwarteten Seuchenzug noch eine positive Seite abgewinnen: Er habe eine beispiellose Anstrengung ausgelöst, einen Impfstoff gegen Ebola zu entwickeln, dessen Tests bereits im Dezember anliefen.

Interessant ist, dass »Nature« den US-amerikanischen Astrophysiker David Spergel zu den wichtigsten Menschen des Jahres für die Wissenschaft zählt. Der hatte nämlich als erster auf Unstimmigkeiten in den Messungen des am Südpol stationierten Tesleskops BICEP2 hingewiesen, mit denen die dort tätigen Wissenschaftler im März des Jahres erstmals Gravitationswellen aus den ersten Sekunden des Universums nachgewiesen zu haben glaubten. Damit wäre auch die sogenannte kosmische Inflation bestätigt, also eine anfangs extrem beschleunigte Ausdehnung des Weltalls. Wie es nun scheint, handelte es sich bei den vermeintlichen Gravitationswellen wohl nur um ein durch kosmischen Staub verzerrtes Signal.

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