Grexit-Debatte: Linkspartei wirft Merkel Erpressung vor

Bericht: Bundesregierung hält Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro für »verkraftbar« / Sprecher dementiert: Es gibt keine Neuausrichtung / SPD-Fraktionschef gibt den Hüter des Spardiktats / Rehn kontert: Keinen »Teufel an die Wand malen«

  • Vincent Körner
  • Lesedauer: 6 Min.

Update 18.15 Uhr: Die Linkspartei hat angesichts neuer Debatten über ein Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro, die auch von der Bundesregierung mit angefacht wurden, von Erpressung gesprochen. Der Vorsitzende Bernd Riexinger sagte dem »Handelsblatt«, die Koalition »lanciert mit dieser gezielten Indiskretion eine Bombe, die in Griechenland die Krise eskaliert. Mit dieser Art öffentlicher Erpressung wird Griechenland gezielt vor den Wahlen destabilisiert«. Der »Spiegel« hatte zuvor berichtet, die Bundesregierung halte ein Austritt des Landes aus der Gemeinschaftswährung »für verkraftbar«. Politiker der Union hatten erklärt, Griechenland sei »nicht systemrelevant für den Euro«. Riexinger kritisierte, »solche Meldungen aus dem Herzen der Bundesregierung können in Athen einen Bankrun provozieren. Das ist organisierte Verantwortungslosigkeit.« Verkraftbar sei ein »Grexit« heute »nur für das Spekulationskartell an den Finanzmärkten, weil inzwischen die ganze Rechnung bei den europäischen Steuerzahlern landen würde«.

Update 16.40 Uhr: Die Bundesregierung hat Spekulationen zurückgewiesen, sie habe ihre Haltung zu einem Austritt Griechenlands aus dem Euro grundsätzlich geändert. »Es gibt keine Kursänderung«, sagte der stellvertretende Regierungssprecher Georg Streiter am Sonntagnachmittag der Deutschen Presse-Agentur. Zuvor hatte er zu einem Bericht des Nachrichtenmagazins »Der Spiegel« lediglich erklärt: »Griechenland ist in der Vergangenheit seinen Verpflichtungen nachgekommen. Die Bundesregierung geht davon aus, dass Griechenland auch weiterhin seinen Verpflichtungen nachkommen wird.«

Der »Spiegel« hatte zuvor aus Regierungskreisen berichtet, die Bundesregierung halte nicht mehr um jeden Preis an einem Verbleib des hoch verschuldeten Landes in der Eurozone fest. Kanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Wolfgang Schäuble (beide CDU) hielten inzwischen ein Ausscheiden des Krisenlandes aus der Währungsgemeinschaft für verkraftbar. dpa/nd

Anti-SYRIZA-Front redet Euro-Austritt herbei

Berlin. Der frühere EU-Währungskommissar Olli Rehn hat sich dem Chor der Stimmen entgegengestellt, die einen möglichen Wahlsieg der linken SYRIZA bei den vorgezogenen Neuwahlen in Griechenland als Gefahr für Euro und EU ansehen. »Es erscheint mir übertrieben, dass einige den Teufel an die Wand malen«, sagte Rehn laut Vorabmeldung dem »Spiegel«. Mögliche Turbulenzen, die auf einen politischen Kurswechsel in Athen folgen könnten, würden »die Eurozone nicht so erschüttern wie 2010 oder 2012«.

Rehn lehnte zwar einen neuen Schuldenschnitt ab, wie ihn SYRIZA-Chef Alexis Tsipras fordert. Zugleich plädierte der finnische Europaabgeordnete aber für Zugeständnisse aus Brüssel an Athen: Rehn glaube ebenfalls, »dass wir die griechische Schuldenlast reduzieren müssen«. Dies könne zum Beispiel »auch durch eine Verlängerung der Laufzeiten der Kredite« erreicht werden.

Dagegen hat der CSU-Europapolitiker Manfred Weber in scharfen Worten die Forderungen der griechischen Linken zurückgewiesen. Tsipras mache den Wählern unhaltbare Versprechungen, sagte Weber dem »Tagesspiegel am Sonntag«. SYRIZA habe Vorhaben für die griechischen Rentner und Arbeitslose, die jegliche stabile Haushaltsplanung unmöglich machten. Weber nannte Tsipras deshalb einen »gnadenlosen Populisten«. »Das Programm von Tsipras läuft auf eine Abkehr von Europa hinaus«, behauptete Weber gegenüber dem Blatt. Es bedeute »einen Bruch von Vereinbarungen, die der griechische Staat eingegangen ist. Dies würde Auswirkungen auf Zusagen Europas haben«, drohte Weber. »Griechenland muss vertragstreu sein. Deshalb gibt es auch keine Möglichkeit, einen Schuldenschnitt in irgendeiner Form zu diskutieren.«

Auch SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann hat die nächste Regierung von Griechenland vor einer Abkehr des als »Konsolidierungskurses« bezeichneten Weges gewarnt. »Es ist den Steuerzahlern in Deutschland und dem Rest Europas nicht zu vermitteln, wenn in Griechenland die Probleme ausgesessen werden. Wir werden darauf bestehen, dass die Strukturreformen in Griechenland umgesetzt werden«, erklärte der Sozialdemokrat der »Welt am Sonntag«. Ein Abschied vom umstrittenen Spardiktat, das Griechenland im Gegenzug für Hilfszahlungen akzeptiert hatte und erhebliche soziale Folgen nach sich gezogen hat, »wäre eine neue Geschäftsgrundlage«, so Oppermann. Der SPD-Politiker ergänzte: »Es gibt keine Leistung ohne Gegenleistung.«

Oppermann sagte zudem, er sei zuversichtlich, dass die Mehrheit der Griechen sich »auf ein solches Abenteuer nicht einlassen« würden. Gemeint ist ein möglicher Wahlsieg des linken Bündnisses SYRIZA unter Führung von Alexis Tsipras. Der will die Sparpolitik beenden und einen Schuldenerlass erreichen.

Zwar hat die bisher amtierende Regierung aus Nea Demokratia und Pasok die Kernpunkte der so genannten Strukturreformen umgesetzt - massive Sozialkürzungen, Deregulierung des Arbeitsmarktes, massive Verschlechterungen der sozialen Mindeststandards, Verringerung des Staatsdefizites. »Aber die griechische Ökonomie kam nach einem Schrumpfungsprozess um rund 25 Prozent nicht aus dem Kriechgang heraus. Bei einem Wirtschaftswachstum im Jahr 2014 von unter 1 Prozent blieb der Rückgang der Arbeitslosigkeit mehr als bescheiden«, bilanzieren die linken Publizisten Joachim Bischoff und Björn Radke.

SYRIZA will an die Stelle der neoliberalen Strukturreformen unter anderem ein Sofortprogramm gegen die Krise setzen, das elf Milliarden Euro kosten soll. Zudem ist ein Anlauf zur ökonomischen Rekonstruktion vorgesehen, der etwa vier Milliarden Euro kosten soll und mit dem 300.000 Arbeitsplätze geschaffen werden könnten. Der Schuldenschnitt, den SYRIZA verhandeln will, soll etwa 40 bis 50 Prozent der Verbindlichkeiten umfassen, damit würde die Staatsverschuldung auf ein Niveau von 85 bis 90 Prozent des Bruttoinlandsproduktes sinken, was in Europa durchaus üblich ist. Einen Austritt aus dem Euro strebt SYRIZA ausdrücklich nicht an.

Genau den aber versuchen Politiker der Regierungsparteien in Deutschland offenbar herbeizureden. Wie der »Spiegel« meldet, ist die Bundesregierung »entgegen ihrer bisherigen Linie« bereit, Griechenland notfalls aus der Eurozone ausscheiden zu lassen. Wörtlich heißt es in der Vorabmeldung: »Die Bundesregierung hält ein Ausscheiden des Landes für nahezu unausweichlich, wenn Oppositionsführer Alexis Tsipras nach den Neuwahlen die Regierung übernimmt, den Sparkurs aufgibt und die Schulden des Landes nicht mehr bedient.«

Bereits in den vergangenen Tagen hatten Regierungspolitiker Front gegen einen möglichen Wahlsieg des linken Bündnisses gemacht. Denn mit Tsipras ist nicht nur eine mögliche Korrektur des Spardiktats der Troika verbunden. Sondern ein Wahlsieg von SYRIZA würde auch »die Chance eines neuen Entwicklungspfades eröffnen und der Wiedergewinnung der Würde der Demokratie einen großen Dienst erweisen«, wie es Bischoff und Radke formulieren.

Dagegen hält nun die Große Koalition ein Drohszenario aufrecht, dass nicht nur in Deutschland Wirkung entfalten soll. Ein Austritt des Landes aus der Gemeinschaftswährung würden Kanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Wolfgang Schäuble »für verkraftbar« halten, berichtet der »Spiegel«. Grund dafür seien die Fortschritte, die die Eurozone seit dem Krisenhöhepunkt 2012 gemacht habe, heißt es in Regierungskreisen. Derzeit gebe es zwar noch keine Antwort auf die Frage, wie ein Mitgliedsland den Euro verlassen, aber dennoch in der EU bleiben könne. »Notfalls klären das findige Juristen«, zitiert der »Spiegel« einen hochrangigen Währungsexperte.

Warnende Worte kommen dagegen vom Ökonom Peter Bofinger, der zu den so genannten »Wirtschaftsweisen« gehört. Er sehe weitreichende Folgen, sollte das Land möglicherweise die Eurozone verlassen, zitiert die »Welt am Sonntag« den Wirtschaftsexperten. »Ein solcher Schritt wäre mit sehr hohen Risiken für die Stabilität des Euro-Raums verbunden. Auch wenn die Situation Griechenlands nicht mit der anderer Mitgliedstaaten vergleichbar ist, würde damit ein Geist aus der Flasche gelassen, der nur schwer beherrschbar wäre.«

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