Mindestlohn - und nun?

Viele Bühnen beschäftigen jetzt weniger Praktikanten, freie Künstler arbeiten weiterhin prekär

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 4 Min.

Theater kämpfen gern für eine gerechtere Gesellschaft. Die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns von 8,50 Euro pro Stunde im Januar war diesen Kathedralen der sozialen und politischen Kritik aber überraschend wenig Aufmerksamkeit wert. Kein Wunder. Die oft kargen Löhne des Performer-Proletariats würden bei einer Angleichung auf Mindestlohnniveau die Budgets belasten. Legt man die Einkünfte der in der Künstlersozialkasse (KSK) versicherten freien darstellenden Künstler zu Grunde - im Schnitt 14 386 Euro Jahreseinkommen -, dann kämen diese bei 254 Jahresarbeitstagen mit jeweils acht Stunden auf einen Stundenlohn von 7,08 Euro. Weil Schauspielerinnen und Regisseurinnen laut KSK-Statistik etwa 3000 Euro weniger als ihre männlichen Kollegen erhalten, blieben ihnen noch deutlich weniger.

Etwas besser, aber beileibe noch nicht gut, geht es manchen fest angestellten Kollegen an Stadt- und Staatstheatern. Wer dort auf der untersten Gehaltsstufe NV Solo mit 1650 Euro monatlich beschäftigt ist, steht unter Umständen ebenfalls unter Mindestlohnniveau im Rampenlicht. Nach Auskunft des Deutschen Bühnenvereins ist für Schauspieler eine Wochenarbeitszeit bis zu 48 Stunden zulässig, bei künstlerisch-technischem Personal bis zu 46 Stunden. Das macht, wenn der öffentliche Arbeitgeber das Kontingent ausschöpft, 7,93 Euro pro Stunde für Schauspieler und 8,28 Euro für Techniker. Damit regiert in Teilen des öffentlichen Kulturbetriebs die tarifliche Gesetzlosigkeit.

Einen Aufschrei hat dies aber nicht ausgelöst. Rolf Bolwin, Geschäftsführer des Deutschen Bühnenvereins, so etwas wie der Arbeitgeberverband der öffentlichen Theater, erklärte auf nd-Anfrage: »Bei Ausschöpfung der 46 bzw. 48 Wochenarbeitsstunden geraten zur Mindestgage Beschäftigte tatsächlich leicht unter die Mindestlohnregelung. Das wird dazu führen, dass wir in den nächsten zwei, drei Jahren die Mindestgage anheben werden. Wir werden uns dabei an den 8,50 Euro orientieren.« Das ist ein schönes Vorhaben. Es bedeutet aber auch, dass der Bühnenverband bis dahin Gesetzesverletzungen in Kauf nimmt.

Man darf Bolwin abnehmen, dass er das nicht gern tut. »Jeder Intendant würde seinen Mitarbeitern sicher gern mehr als den Mindestlohn auszahlen. Aber was soll man machen, wenn das Geld nicht reicht?«, meint er - und spielt den Ball weiter in Richtung Kommunen. »Politiker, die im Stadtrat sitzen, und deren Kollegen im Bundestag die Mindestlohnregelung beschlossen haben, müssten jetzt ausrechnen, welcher Mehrbedarf auf die Städte zukommt.« In Berlin wird dies wohl nicht passieren. Anfragen dieser Zeitung bei Volksbühne, Deutschem Theater, Deutscher Oper und Maxim Gorki Theater ergaben die einhellige Auskunft: »Auf uns hat der Mindestlohn so gut wie keine Auswirkung.« Bereits vor zwei Jahren mussten die Bühnen per Landesgesetz ihre Tarifstruktur auf den Mindestlohn anheben. Das gilt, so Thomas Fehrle, Geschäftsführender Direktor der Deutschen Oper, auch für Subunternehmer, die zum Beispiel für Reinigung zuständig sind. Die Mehrkosten damals lagen bei der Deutschen Oper etwa bei 35 000 bis 40 000 Euro pro Jahr. Einstiegsgagen für Schauspieler liegen bei den großen Berliner Bühnen ohnehin deutlich über dem Minimalsatz von NV Solo.

Massiv betroffen sind aber Praktikanten. »Sie werden jetzt nicht länger als drei Monate beschäftigt«, teilt das Deutsche Theater mit. Ähnlich ist die Situation an den anderen Häusern. Recht drastisch formuliert das Thomas Walter, Geschäftsführender Direktor der Volksbühne: »Unbestritten führt die gesetzlich gewollte Beendigung der sogenannten ›Generation Praktikum‹ zu einer veränderten Gestaltung von Praktikumseinsätzen, für die es nach wie vor eine hohe Anzahl von Interessenten gibt.«

Bei den Spielstätten der freien Szene Berlins ist die Lage ähnlich. »Unsere wenigen fest angestellten Mitarbeiter wurden schon zuvor über Mindestlohnniveau bezahlt«, erzählt Daniel Schrader vom Ballhaus Ost. Franziska Werner berichtet Gleiches von den Sophiensaelen. Das Praktikantenproblem trifft sie aber wie die großen Häuser. »Wir können, selbst wenn wir es wollten, keine Praktikanten mehr länger als drei Monate beschäftigen. Das ist sehr schade, denn nach drei Monaten sind sie gerade einmal eingearbeitet«, schildert Werner. »Der Kreis der Leute, die für ein Praktikum in Frage kommen, wird nun deutlich kleiner«, bedauert Schrader.

So sind Praktikanten und Hospitanten die Hauptleidtragenden des Mindestlohns. Denn kein Theater, ob frei, ob institutionalisiert, will es sich mehr leisten, diese Berufseinsteiger länger als drei Monate zu beschäftigen. Das hat Auswirkungen auf deren Karrieren.

Für die freien Künstler bringt die Einführung des Mindestlohns im Übrigen gar keine Veränderung. Sie gelten nicht als Arbeitnehmer im Sinne des Mindestlohngesetzes. Ihre Stundensätze laut KSK-Statistik von 7,08 Euro oder gar 5,74 Euro würden nur dann steigen, wenn die öffentliche Förderung für freie Projekte dem Rechnung trägt.

Die Berliner Kulturverwaltung rechnet gerade nach, wie viel das ausmachen würde. Der Landesverband für freie darstellende Kunst (LAFT) hat dies schon vor drei Jahren getan. Eine Anpassung der Etats allein der bewilligten Projekte auf die Honoraruntergrenze des LAFT (2000 Euro monatlich) würde einen Mehrbedarf von sechs Millionen Euro ergeben. Das wäre mehr als eine Verdopplung der aktuellen Mittel. Wer Mindestlohn für freie Künstler will, muss dringend nachbessern.

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