Schuldenschnitt für Athen?

Wirtschaftsexperten in der Debatte über die Forderung der linken Oppositionspartei SYRIZA

  • Lesedauer: 5 Min.

Das Linksbündnis 
SYRIZA, das bei den Wahlen Ende kommender Woche zur stärksten politischen Kraft in Griechenland werden könnte, hat einen erneuten Schuldenschnitt ins Gespräch gebracht. Man verweist darauf, dass die Schuldenquote trotz der mittels brachialer Austeritätspolitik gesenkten Haushaltsdefizite noch weiter gewachsen ist. Kann das Land also nur durch einen Teilverzicht der Gläubiger wieder auf die Beine kommen? Auch linke Ökonomen sind sich bei der Beantwortung dieser Frage nicht 
einig.

Umschuldung
 ist vernünftig

Von Lucas Zeise

Die griechische Wirtschaftsleistung hat sich auf drei Viertel des Standes von vor Anbruch der Krise reduziert. Die Industrieproduktion ist auf 70 Prozent der Vollauslastung zurückgefallen. Entsprechend ist mehr als ein Viertel der arbeitsfähigen Bevölkerung arbeitslos. Das ist nicht allein das Werk des von der EU und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) verordneten Austeritätskurses, aber die rigide Politik der Troika hat die Lage verschärft, statt sie zu verbessern. Selbst das eigentliche Ziel der brutalen Maßnahmen, die Schulden des griechischen Staates auf 120 Prozent des griechischen Bruttoinlandsprodukts (BIP) zu verringern, wurde nicht erreicht. Zwar ist dank der rigorosen Ausgabenreduzierung der Primärhaushalt des Staates (ohne Ausgaben für Zins und Tilgung) ausgeglichen, doch die Verschuldung ist auf mehr als 170 Prozent am BIP gestiegen. Der IWF hat wenigstens eingestanden, dass der eingeschlagene Kurs fehlerhaft und für Griechenland schädlich war.

Bei einer Fortsetzung dieser Politik wird die Lage nicht besser. Mag sein, dass sich die Wirtschaft wie in den letzten Monaten geringfügig erholt, für eine ordentliche Bedienung der Schulden wird es nimmermehr reichen. Wenn die Lage derart verfahren ist, streben große Geldgeber eine Umschuldung an. Das ist vernünftig. Man rettet einen Teil der investierten Beträge, erlässt oder stundet den anderen und gibt so dem Schuldner die Möglichkeit zum Überleben. Das Linksbündnis SYRIZA geht mit der Forderung nach einem solchen Schuldenschnitt in die Parlamentswahl am 25. Januar. Er soll Griechenland Luft verschaffen und die Möglichkeit geben, das drastische Schrumpfungsprogramm zu mildern. Die Aussichten wären so schlecht nicht, damit der Wirtschaft ein wenig Auftrieb zu geben.

Leider nur sind die Hauptgläubiger dieses Mal nicht kühl kalkulierende Banker sondern die anderen Eurostaaten, vertreten durch Politiker wie Frau Merkel und Herrn Schäuble. Diese haben Grund, die neoliberale Presse und das rigoros und national gesinnte Wahlvolk bei SPD, CDU, CSU, AfD usw. zu fürchten. Der deutschen Regierung würde es übel genommen, wenn den »faulen« Griechen reales, aus Deutschland stammendes Geld erlassen würde. Vorausschauend erhöhen Merkel & Co. damit den Druck auf die Griechen, keinesfalls die unsolide SYRIZA zu wählen. Man könne Griechenland ohne Schaden für das eigene Finanzsystem aus dem Euroverbund drängeln, sagen sie. Die Probe darauf werden wir – jedenfalls in diesem Stadium der Geschichte – nicht erleben.

Wenn Merkels Parteifreund Samaras die Wahl gewinnt, kommt ein Schuldenschnitt, der ein wenig anders genannt wird. Samaras darf die EU-Beschlüsse entgegennehmen und ja sagen. Wenn Syriza die Wahl gewinnt und eine Regierung bilden kann, kommt auch ein Schuldenschnitt. Man kann nur hoffen, dass der kräftig ausfällt. Es wird interessant sein zu sehen, wie die Politiker in Berlin die Kurve kriegen. Frau Merkel ist es zuzutrauen. Man erinnere sich an den Mai 2010, als im NRW-Wahlkampf die »Transferunion« ausgeschlossen und zwei Wochen später als alternativlos beschlossen wurde.

Schnitte helfen 
nicht weiter

Von Dierk Hirschel

In zwei Wochen wählen die Griechen eine neue Regierung. Dem konservativen Regierungschef Antonis Samaras droht das Aus. Viele Griechen haben die Nase voll vom Spardiktat. Davon profitiert die stärkste Oppositionspartei. SYRIZA will die neoliberale Schocktherapie beenden und den Schuldendienst neu verhandeln. Doch Kanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Wolfgang Schäuble (beide CDU) drohen Athen den Kredithahn zuzudrehen, wenn die nächste Regierung nicht mehr kürzt und streicht.
Dabei frisst der Schuldendienst die Früchte der zarten wirtschaftlichen Erholung. Der oberste griechische Kassenwart musste bis zu vier Prozent der hellenischen Wirtschaftsleistung für Zinsen ausgeben. Das ist nicht gesund. Zinsen und Tilgung fließen ins Ausland. Dieses Geld kann nicht im eigenen Land konsumiert und investiert werden.

Daher ist die Forderung nach einem Schuldenschnitt wieder populär. Die EU-Kommission diskutiert bereits über einen solchen Schuldenerlass. DIW-Präsident Fratzscher schlägt vor, die Hälfte der griechischen Schulden zu streichen. SYRIZA will auf einer europäischen Schuldenkonferenz über den Schuldenschnitt verhandeln.

Ein Schuldenerlass wäre die zweite harte Umschuldung der letzten fünf Jahre. 2012 strichen private Gläubiger 107 Milliarden Euro. Die griechische Schuldenquote sank von 170 auf 157 Prozent. Heute sind die ökonomischen Risiken eines Schuldenschnitts geringer. EZB-Chef Mario Draghi hat die Krisenländer aus der Geiselhaft der Finanzmärkte befreit. Folglich gibt es keine große Ansteckungsgefahr für andere hoch verschuldete Euroländer.

Großer Widerstand gegen eine harte Umschuldung kommt aber aus Berlin. Schäuble will nicht, dass bei einem zweiten Schuldenschnitt Steuerzahler bluten. Die Banken und Versicherer haben ihre griechischen Schuldtitel weitergereicht. Öffentliche Gläubiger sitzen heute auf 80 Prozent der hellenischen Staatsschuld.

Politisch einfacher wäre eine weiche Umschuldung. Dann müssten die ausstehenden Schulden umstrukturiert werden. Mit Hilfe von Evergreen-Bonds, Nullkupon᠆anleihen oder BIP-indexierten Krediten könnten die Laufzeiten gestreckt, die nächsten Jahre zinsfrei gestellt und die Zinslast an die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit gekoppelt werden.

Ein Schuldenschnitt, egal ob hart oder weich, befreit Athen aber noch nicht aus der Schuldenfalle. Solange der Zins über der Wachstumsrate liegt, steigt die Verschuldung ungehindert weiter. Deswegen hat Athen heute auch wieder mehr Schulden als nach der ersten Umschuldung 2012. Griechenland kann aus dem Schuldenberg nur herauswachsen.

Die griechische Wachstumsschwäche ist politisch gemacht. Milliardenschwere Haushaltskürzungen und die Zerschlagung der Tariflandschaft verschärften die Krise. Seit 2010 schrumpfte die Wirtschaft um fast ein Fünftel. Die Arbeitslosigkeit verdoppelte sich. Solange diese gescheiterte Politik nicht beendet wird, hilft Athen auch kein zweiter Schuldenschnitt. Deshalb ist das Ende der neoliberalen Schocktherapie wichtiger als alles Andere.

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