»Es macht keinen Sinn, überall Kameras zu installieren«

Der Linkenpolitiker Frank Tempel im Gespräch über die Anschläge von Paris, die Terrorgefahr und den Ruf nach Gesetzesverschärfungen in Deutschland

  • René Heilig
  • Lesedauer: 3 Min.

Nach den Anschlägen in Paris ist die deutsche Debatte über die richtigen Konsequenzen entbrannt. Die Union will die Wiedereinführung der Vorratsdaten. Sie widersprechen. Warum?

Frank Tempel: Ich bin dafür, dass man zunächst einmal sachlich über die Ursachen des Terrorismus nachdenkt. Natürlich ist es wahr, dass es eine latente Gefährdungslage auch in Deutschland gibt. Auch wir sind nicht vor solchen oder ähnlichen Anschlägen gefeit. Also muss man selbstverständlich darüber nachdenken, mit welchen Mitteln man der Gefahr begegnen kann. Dabei muss man berücksichtigen, dass Gegner der Demokratie, dass Attentäter und Terroristen auf jede gesetzliche Veränderung, auf jede Sicherheitsverschärfung reagieren. Ehrlich ist es zu sagen: Niemand kann eine hundertprozentige Sicherheit schaffen. Es macht keinen Sinn, überall Kameras zu installieren. Die hätten in Paris nur bewirkt, dass man die abscheulichen Verbrechen am Bildschirm besser hätte verfolgen können. Und so ist das auch mit der Vorratsdatenspeicherung, die von der Union jetzt wieder gefordert wird. Die Täter, also die zwei Brüder haben nicht groß miteinander telefoniert, sondern einfach miteinander gesprochen. Da war nichts zu speichern.

Sie halten das für kontraproduktiv?

Frank Tempel: Ja, denn wenn wir unsere Freiheits- und Bürgerrechte weiter einschränken, wäre das schon ein Sieg dieser Terroristen.

Was fordern Sie?

Frank Tempel: Kommunikation und Prävention, das ist einfach das A und O, die sind zu verbessern, darüber müssen wir reden. Dazu gehört, dass man sich deutlich gegen Pegida wendet und eine Spaltung der Gesellschaft verhindert. Man darf nicht zulassen, dass Leute aus dem muslimischen Bereich und aus dem christlichen, jüdischen Bereich auseinanderdividiert werden. Eintreten für Toleranz und Weltoffenheit ist wichtig. Man muss Hass den Nährboden wegnehmen.

Reicht das wirklich, um mehr Sicherheit zu ermöglichen?

Frank Tempel: Natürlich nicht. Wenn wir über verstärkte Sicherheitsmaßnahmen reden, müssen wir über mehr und gut ausgebildetes Personal in Sicherheitsbereichen reden. Wir haben jüngst wieder auf dem Frankfurter Flughafen gesehen, wie Billigverdiener, die in Sechs-Wochen-Kurse schlecht ausgebildet wurden, in Sicherheitsbereichen arbeiten, denen eigentlich Polizei zuständig wäre. Auch im Ermittlungsbereich, im Auswertungsbereich, im Bereich der Gefahrenanalyse fehlt es an gut ausgebildetem Personal. Also wir in letzter Zeit so viele Stellenkürzungen gehabt. Also noch einmal: Das Werkzeug ist da, die Gesetze reichen aus, die Überwachungsmöglichkeiten sind größer, als es sein muss. Aber letztendlich lassen sich auch damit solche Terroranschläge kaum verhindern. Man kann nur versuchen, durch Kräfte auch vor Ort, die im Alltag der Bürger unterwegs sind, die mit geschultem Blick auf der Straße sind Situationen rechtzeitig zu erkennen.

Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen hat die Zusammenarbeit der Geheimdienste angemahnt. Da müsse man auch schon mal gegenüber den Partnern über datenschutzrechtlicher Bedenken hinwegsehen.

Frank Tempel: Genau das meine ich: Es kommt jetzt jeder aus der Deckung, macht die große Schublade auf, um bei der Gelegenheit endlich das durchsetzen, was man schon immer gerne an Gesetzesverschärfungen und Sonderrechten haben wollte. Ich halte es für verwerflich, diese Anschläge in Paris zu missbrauchen, um diese überflüssige Diskussion über Gesetzesverschärfungen im Sicherheitsbereich neu zu entfachen.

Frank Tempel ist Kriminalpolizist und sitzt für die Linkfraktion im Innenausschuss des Bundestags, dessen stellvertretender Vorsitzenden er ist. Mit ihm sprach René Heilig

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