Kaum noch Schiffe auf dem Nil

Unterwegs im Land der Pharaonen zwischen Luxor und Assuan. Von Heidi Diehl

  • Heidi Diehl
  • Lesedauer: 7 Min.

Das hatte sich Hercule Poirot ganz und gar anders vorgestellt. Als Agatha Christies legendärer Privatdetektiv auf dem Nilschiff »Karnak« seine Kabine bezog, wollte er faulenzen, plaudernd mit anderen Gästen Tee auf dem Sonnendeck trinken und dabei das mehr als 5000 Jahre alte Kulturland an sich vorüberziehen lassen. Vor allem aber freute er sich auf die Tempel und Königsgräber entlang des Nils. Doch - wie immer - kam es ganz anders: Der Mord an der schwerreichen bildschönen Lady Linnet Doyle, die Gleiches in ihren Flitterwochen vorhatte, zerschlug alle Pläne vom Urlaub in einem ganz besonderen Land.

Warum nur, Agatha, musstest Du ihm (und uns) das antun? Es wäre doch so interessant gewesen, zu erfahren, welchen Eindruck das »Land der Pharaonen« bei Poirot hinterließ. Ägypten, und insbesondere die Nilregion, ist viel zu schön, um sich durch Mord und Totschlag davon ablenken zu lassen, sie mit vollen Zügen zu genießen.

Das sieht auch Ägyptens Tourismusminister Hisham Zaazou so, der voller Hoffnung ist, dass sich das »Wunder von Hurghada« endlich auch in der Nilregion wiederholt. Denn ans Rote Meer sind die Gäste vier Jahre nach Beginn der Unruhen im Land und dem damit verbundenen Einbruch im Tourismus längst zurückgekehrt. Warum es am und auf dem Nil ganz anders aussieht, erklärt er damit, dass die Medien noch immer verbreiten würden, dort sei es nicht sicher. »Seit dem schrecklichen terroristischen Anschlag 1997 im Hatschepsut-Tempel von Luxor, bei dem 62 Menschen starben, hat es hier keine Probleme mehr gegeben«, sagt er. Und fügt an: »Es ist an der Zeit, diese Region wieder zu pushen. Derzeit fahren nur etwas zehn Prozent der 400 Nilschiffe. Wir hoffen, dass vier Jahre schlechter Tourismus genug sind.«

Das hoffen insbesondere die rund vier Millionen Menschen, die direkt oder indirekt vom Tourismus leben. Rund 400 000 direkt Beschäftigte haben seit 2011 ihren Job verloren. Viele andere sind froh, wenn sie ab und an mal einen Auftrag bekommen. Wie Amro Wefky. Der Kunsthistoriker ist ein wandelndes Geschichtsbuch, weiß alles über die Pharaonen, ihre Tempel und das Leben im alten Ägypten. Jahrelang war er bei vielen Reiseveranstaltern unter Vertrag - bis die Gäste wegblieben. Seitdem wurschtelt er sich so durch. Zweimal die Woche gibt er Kindern Nachhilfeunterricht in Deutsch. Seine Eigentumswohnung in Kairo musste er verkaufen. Jetzt lebt der 47-Jährige wieder mit seiner Mutter zusammen und von deren kleiner Rente. Im vergangenen Jahr bekam er nur drei Mal für ein paar Tage einen Auftrag als Reisebegleiter.

Dennoch hat Amro nicht die Hoffnung verloren, dass die Touristen bald wieder zahlreich auf den Nil zurückkehren. Die knappe Woche im vergangenen November, als er eine deutsche Gruppe von Luxor bis Assuan begleitete, blühte er regelrecht auf. Und er genoss sichtlich, wie beeindruckt die Gäste von den zahlreichen Tempelanlagen waren.

Anders, als noch vor Jahren, verlieren sich die wenigen Touristen in der riesigen Tempelanlage Karnak in Luxor. Mit ihren 30 Hektar Fläche ist sie die weltgrößte antike religiöse Stätte. Die Besucher bewundern fasziniert die Säulen, Kapellen, Skulpturen und Tempel, die Dutzende von Herrschern von 2000 v. u. Z. über 13 Jahrhunderte erbauen, immer wieder verändern und auch zerstören ließen. Wie Gulliver im Riesenland kommen sie sich vor, als sie den gewaltigen Wald aus 123 Säulen mit einem Durchmesser von rund zehn Metern betreten. 13 bis 24 Meter ragen sie in den Himmel. Mit dem Kopf im Nacken und offenen Mündern staunen sie diese architektonische Meisterleistung an. Amro lässt die Eindrücke erst mal sacken, ehe er seine Gruppe mit einer Winzigkeit verblüfft. »Das da ist Tutanchamun«, weist er auf eine fast bescheiden wirkende Skulptur hin. »Erst vor drei Jahren haben Archäologen rein zufällig seine abgeschlagene Nasenspitze im Geröll wiedergefunden.« Angesichts der Mengen von Steinen und Steinchen ringsumher ist dieser Fund tatsächlich so etwas wie ein Sechser im Lotto mit Zusatzzahl gewesen.

Einen Volltreffer von noch gewaltigerem Ausmaß landeten Schatzsucher 1906, als sie 17 000 antike Statuen in einem Versteck fanden. Die brachten die Engländer, die damals über Ägypten herrschten, allerdings schnell in ihr Mutterland, wo sie, sehr zum Bedauern der Ägypter, bis heute sind. Andere versunkene jahrtausendealte Schätze wurden vor wenigen Jahren per Satellit im Meer entdeckt, nur leider fehlt das Geld, sie zu bergen. Auch unter den Häusern, die derzeit im Stadtzentrum von Luxor weggerissen werden, um die einstige drei Kilometer lange prachtvolle Sphinxallee zwischen Karnak- und Luxor-Tempel wieder herzustellen, werden immer wieder Schätze gefunden. Darunter etliche der Tausenden Sphinxen, die die Allee einst zierten. Viele Generationen werden mit der Sanierung der Skulpturen und dem Wiederaufbau der Allee noch beschäftigt sein, eine Ahnung von dem, was unsere Nachkommen einst bestaunen werden, kann man allerdings schon am Luxor-Tempel bekommen. Ein Teil der Prachtallee ist hier bereits wieder zu bewundern. Den Eingang zu dem 1400 v. u. Z. erbauten Tempel, der den Gottheiten Amun und Mut sowie ihrem Sohn Khonsu geweiht ist, säumen zwei große Sitzstatuen Ramses’ II.. Vor beiden gab es ursprünglich einen Obelisk, einen jedoch verschenkte Ägyptens Vizekönig Muhammed Ali Pascha 1830 großzügig an Frankreich, wo er seit 1836 die Place de la Concorde in Paris schmückt.

Weiter geht die Nilreise, nicht weit von Luxor können die Gäste von der Reling aus noch einmal einen Blick auf den Hatschepsut-Tempel und das Tal der Könige werfen, die sie am Tag zuvor besichtigt hatten. Rund 105 Kilometer sind es noch bis zum Edfu-Tempel, der um 237 v. u. Z. erbaut wurde. Er gilt als der Besterhaltenste in Ägypten. Was nicht weiter verwundert, da er im Laufe der Jahrtausende vom Wüstensand vollständig zugeweht und erst im 19. Jahrhundert wiederentdeckt und ausgebuddelt wurde. Nicht schlecht staunten die Archäologen, als sie begannen, die Hieroglyphen an den Wänden zu entziffern. Stießen sie in einem Raum doch auf unzählige eingeritzte Rezepturen für Parfüme und Salben, in anderen auf medizinische Erläuterungen.

In Edfu ist etwa die Hälfte der etwa 250 Kilometer bis Assuan geschafft, die halbe Tagesreise bis zur nächsten Tempelanlage Kom Ombo, genießen die Nilreisenden ihren Tee auf dem Sonnendeck, lesen oder lassen einfach mal alle Fünfe grade sein. Nur Amro nicht, der plaudert munter über die Nilkrokodile, die einst in Kom Ombo, der nächsten Station, als vergötterte Haustiere gehalten und nach ihrem Tod einbalsamiert wurden. Etliche dieser Mumien kann man heute in einem Museum neben dem Tempel, übrigens der einzige Doppeltempel Ägyptens, sehen. Der eine Teil ist dem Krokodilgott Sobek, der andere dem falkenköpfigen Gott Horus gewidmet.

Von dort ist es nicht mehr weit bis Assuan, der »Perle vom Nil« und der Endstation der Nilkreuzfahrt. Doch den Tempel der Isis wollen die Gäste unbedingt noch sehen. Dass es ihn noch gibt, ist einer internationalen Rettungsaktion Ende der 1970er Jahre zu verdanken. Damit er nicht in den Fluten eines Zwischenbeckens für den Assuan-Staudamm versinkt, wurde der Tempel zersägt und originalgetreu auf einer benachbarten Insel wieder aufgebaut. Eine Meisterleistung und ganz passend für die Isis, die nämlich die Göttin der Geburt, der Wiedergeburt und der Magie ist.

Ein letztes Highlight lassen sich die Touristen in Assuan nicht entgehen und können so doch noch auf Hercule Poirots und Agatha Christies Spuren wandeln - im Hotel »Old Cataract«, wo die Krimiautorin und ihr Held logierten. Es wurde 1902 zeitgleich mit dem Assuan-Staudamm eröffnet und präsentiert sich noch immer im viktorianischen Stil, wie von Agatha Christie beschrieben. Auf der legendären Terrasse mit Blick auf den Nil genießen die Gäste ihren letzten Abend. So wie Poirot seinen, bevor er am nächsten Morgen an Bord der »Karnak« ging, um all die Perlen entlang des Nils zu bewundern. Woraus ja bekanntlicherweise nichts wurde.

Infos

Ägyptisches Fremdenverkehrsamt:
 www.egypt.travel

Tel: (030) 887 246 70

Nilkreuzfahrten bieten unter 
anderem TUI an:
 www.tui.com

Old Cataract Hotel Assuan:
www.sofitel.com/de/hotel-1666-sofitel...old-cataract-aswan/index.shtml

Seit Ende Dezember gibt es wieder Direktflüge von verschiedenen deutschen Flughäfen nach Luxor
Literatur: 
Marko Polo, Ägypten, 12,40 €

Als kurzweilige Reiselektüre empfiehlt sich »Tod auf dem Nil« von Agatha Christie, Hoffmann und Campe Verlag Hamburg, 9,99 €

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