Lieber Student statt Lehrling
Handelskammer sorgt sich um das stetig sinkende Interesse an Ausbildungsberufen
Berlin hat ein echtes Nachwuchsproblem. Gemeint sind nicht die 40 000 Neuberliner, die es jedes Jahr in die Stadt zieht, sondern dass mittlerweile für immer weniger junge Schulabgänger eine Ausbildung infrage kommt. So sieht die Bilanz aus, die die Berliner Industrie- und Handelskammer (IHK) am Donnerstag für das Ausbildungsjahr 2014 zog. Die Miesere ist vielfältig. Sowohl die Zahl der Schulabgänger ist über die Jahre um knapp 19 Prozent gesunken als auch das Interesse, überhaupt eine betriebliche Ausbildung machen zu wollen. Im vergangenen Jahr ist die Zahl der Studienanfänger mit knapp 31 600 auf ein neues Rekordhoch gestiegen. Gleichzeitig interessieren sich immer weniger Jugendliche (16 174) für eine Lehrstelle. »Die anhaltende Akademisierungswelle führt dazu, dass zunehmend beruflich Qualifizierte fehlen. Das geht am Bedarf des Arbeitsmarktes vorbei. Hinzu kommt, dass viele Jugendliche nicht den direkten Weg in die Ausbildung finden«, sagt IHK-Hauptgeschäftsführer Jan Eder.
Das Durchschnittsalter der Neu-Azubis, die bei der IHK registriert sind, liegt mittlerweile bei 21,8 Jahren. Laut IHK liegt der Grund darin, dass viele in schulischen Maßnahmen »verschwinden«, um einen höheren Schulabschluss zu erreichen. Letztendlich landen sie dann jedoch wieder in der betrieblichen Ausbildung. »Ziel muss es sein, eine systematische Berufsorientierung an allen Schulen zu gewährleisten«, sagt Thilo Phal, Geschäftsführer für Aus- und Weiterbildung bei der IHK. Welche Berufe gibt es überhaupt, was passt zu meinen Interessen? Die mangelnde Berufsorientierung wird von fast 60 Prozent der Berliner Ausbildungsbetriebe als ein großes Hemmnis wahrgenommen, sich überhaupt für eine berufliche Ausbildung zu interessieren, so die IHK. Die hohen Abbrecherquoten - Berlin liegt mit 33 Prozent bundesweit an der Spitze - seien auch der mangelnden Berufsberatung geschuldet. Immerhin würden 50 Prozent aller Ausbildungsabbrecher einen neuen Versuch starten, so die IHK. Von der geplanten Einführung einer Jugendberufsagentur erhofft sich die IHK deshalb auch eine »radikale Verbesserung des Systems«. Jedes Jahr gibt es nach den Zahlen der Bundesagentur für Arbeit rund 5000 Jugendliche in Berlin, die zwar als arbeitssuchend gemeldet sind, auch zum Beratungsgespräch geladen werden, aber nie erschienen. »Das sind vielleicht Leute, die längst ins Ausland gegangen sind oder die doch noch studiert haben. Niemand weiß, was mit ihnen passiert ist«, sagt Eder. Die Jugendberufsagentur ist so ausgelegt, dass jeder Jugendliche während der Schulzeit ein Beratungsgespräch bekommt und kontinuierlich begleitet wird.
Eindeutig positioniert sich die Kammer in Asylrechtsfragen. »Wer einen Ausbildungsplatz bekommen hat, muss ein Bleiberecht in Berlin erhalten«, sagt Eder. Was den Fachkräftemangel angeht, sei die Pegida-Bewegung für das internationale Ansehen des Landes eine »sehr schädliche Entwicklung«.
Kritik an der Qualität der Ausbildung kommt jedes Jahr von der Jugend des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). In ihrem »Ausbildungsreport Berlin-Brandenburg« zeigt sie, dass es längst nicht immer nur an den »ausbildungsunfähigen« Schulabgängern liegt, wenn das Studium für viele immer attraktiver wird. Auch wenn die Mehrzahl der befragten Berufsschüler mit ihrer Ausbildung zufrieden ist (rund 77 Prozent), gibt es sie immer noch, die wenig attraktiven Azubistellen. »Das Gastrogewerbe hat nach wie vor ein Imageproblem«, muss auch Phal zugeben.
Der Report belegt, dass insgesamt ein Drittel aller Azubis keinen Ausbildungsplan bekam oder regelmäßig arbeitsfremde Tätigkeiten erledigen muss. 20 Prozent müssen, obwohl das verboten ist, ihre Berufsschulzeit nacharbeiten. »Wenn Verstöße bei uns gemeldet werden, dann gehen wir der Sache auch sofort nach«, sagt Phal.
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