»Es war, als ob sie einen Krieg gegen uns führen«

Ein Jahr nach dem Flüchtlingsdrama von Ceuta: Betroffene und Aktivisten berichten über ihre Erlebnisse

  • Felix Weiß
  • Lesedauer: 3 Min.
Am 6. Februar 2014 versuchten afrikanische Flüchtlinge, die spanische Exklave Ceuta in Marokko zu erstürmen. Es gab mehrere Tote. Die Aufarbeitung der Geschehnisse ist noch längst nicht abgeschlossen.

Trésor war nicht immer politisch aktiv. »Sich für Politik zu interessieren, hieß in meinem Land, eine Kugel in den Kopf zu bekommen«, sagt der Kameruner. Die angespannte Sicherheitslage in seiner Heimat, die zehnjährige Odyssee nach Europa und seine Entrüstung über die Ungerechtigkeit, die afrikanische Migranten erfahren, haben ihn zu einem politischen Aktivisten gemacht. »Es kann nicht sein, dass Kinder in Côte d’Ivoire auf Kakaoplantagen arbeiten, aber niemals Schokolade essen werden! Rohstoffe können Grenzen passieren, für Menschen ist das unmöglich«, sagt Trésor bei der Veranstaltung »Europas tödliche Grenzen« des European Center for Constitutional and Human Rights am Mittwoch in Berlin.

Aus diesem Grund engagiert er sich in der Organisation Voix des Migrants (Stimmen der Migranten). Die ist beteiligt an Aktionstagen mit dem Titel »Stop War Against Migrants«, die von der Internationalen Koalition der Sans-Papiers und Migranten für dieses Wochenende ausgerufen wurden. Neben einer Demonstration durch das Berliner Regierungsviertel am Freitag, an der nach Veranstalterangaben 200 Personen teilnahmen, wird für Sonnabend und Sonntag zu Filmscreenings sowie Workshops eingeladen, in deren Rahmen vor allem an die Katastrophe von Ceuta erinnert werden soll, die sich am Freitag zum ersten Mal jährte.

Mindestens 15 Tote und viele Verletzte waren die Bilanz des Versuchs afrikanischer Migranten, die Grenzanlagen der spanischen Exklave Ceuta am 6. Februar 2014 zu überwinden. Der 16-jährige Nathan war damals dabei. »Ich habe noch eine Narbe vom Stacheldraht«, erzählt er. Doch schlimmer als der Stacheldraht seien die Wochen in den marokkanischen Wäldern gewesen, wo die Flüchtlinge ausharrten, bis sich eine Gelegenheit bot, nach Europa zu kommen. In Marokko hat sich ein enormer Rassismus gegenüber subsaharischen Migranten entwickelt. Gewaltsame Übergriffe mit Schlagstöcken durch Zivilisten und Polizei sind keine Seltenheit.

Wenn sie dort ankommen, haben die meisten Migranten schon mehrere Grenzen, Länder und die Sahara hinter sich gelassen. In der Nacht des 5. Februar schien die Situation endlich günstig zu sein, um den Grenzzaun zu überwinden. Nur die Stärksten schaffen es an einer gewaltbereiten Menge und den Polizeibehörden vorbei bis zum ersten von insgesamt drei Grenzzäunen. Als sie versuchten, die Exklave schwimmend zu erreichen, eröffnete die Guardia Civil das Feuer mit Gummigeschossen und Tränengas.

»Es war, als ob sie einen Krieg gegen uns führen«, erinnert sich Nathan. Viele ertranken oder wurden halbtot geprügelt, die Überlebenden wurden sofort den marokkanischen Polizeibehörden übergeben, wo sie erneut deren Willkür ausgeliefert waren. Die spanische Justiz ging den Fall sehr zögerlich an. »Zunächst war die Guardia Civil damit beauftragt, einen Untersuchungsbericht vorzulegen«, resümiert der spanische Rechtsanwalt Gonzalo Boye. »Darin stand, dass die Schüsse abgegeben wurden, um den Schwimmenden den Grenzverlauf anzuzeigen.« Nun hat ein Staatsanwalt das Geschehen als »fahrlässige Tötung« bezeichnet, was Boye Hoffnung macht, dass endlich Bewegung in den Fall kommt.

Neben diesen gewaltsamen Pushbacks sowie dem rigiden Vorgehen der Grenzsicherungsagentur Frontex sieht Sophia Wirsching von Brot für die Welt das Problem in der Externalisierung der EU-Grenzkontrollen: »Das Konzept ›Festung Europa‹ stimmt nicht mehr, weil das Grenzmanagement in Drittstaaten ausgelagert wird. Inzwischen stehen Auffanglager in Mauretanien - finanziert von der EU. Die EU entzieht sich so jeglicher Verantwortung.« Durch die Visapflicht hätten afrikanische Staatsangehörige keine Chance, auf legalem Wege EU-Territorium zu betreten, wodurch Migranten automatisch kriminalisiert würden. Mittlerweile plant Spanien die Finanzierung und den Bau eines vierten Grenzzaunes um die Exklave.

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