Knight Rider

Wird aus der Science-Fiction-Idee des selbststeuernden Fahrzeuge bald schon Wirklichkeit? Über Chancen und Risiken des automatischen Autos

  • Michael Jäger
  • Lesedauer: 8 Min.

Was beim automatischen Auto zuerst auffällt: Seine Strategen denken gar nicht daran, es als mögliches Element eines ökologisch erneuerten Verkehrsverbundsystems anzupreisen. Obwohl es da eine nützliche Rolle spielen könnte. Wenn man Autounternehmern oder den Planern an der TU Braunschweig zuhört, wird bald klar, dass es stattdessen um die Aufrechterhaltung, ja erhebliche Ausweitung des Autoverkaufsumsatzes geht. So stellen sich die akademischen Forscher »ein pausenloses Gewimmel« von Autos vor, die mit ihrer »Schwarmintelligenz« die Großstadt in einen Autoscooter wie auf dem Rummelplatz verwandeln würden, wo es keiner Ampeln oder Verkehrsschilder mehr bedarf. Eine futuristische Vision, die zweifellos hochinteressante Fotomotive verspricht. Sie allein schon könnte verkaufsfördernd sein, weil sie dem zunehmenden Autounmut der nachwachsenden Generation mit der Aussicht auf neue aufregende Modernität entgegentritt. Die Planer sprechen indessen nicht von Jugendlichen, sondern weisen darauf hin, dass Kinder, Alte, Kranke und sogar Blinde mit automatischen Autos sorg- und problemlos und sogar ohne Führerschein fahren könnten.

Vor zwei Jahrzehnten hatte die Autoindustrie noch eine SHELL-Studie erstellen lassen, die die Frage beantworten sollte, wie man auch ältere Menschen zum Autofahren motivieren kann. Eine Antwort wie heute wurde da noch nicht gewagt.

Die Forschungen sind weit vorangeschritten. Nicht nur an der Braunschweiger Uni wird geforscht, wo bereits das Vorzeigemodell durch die Straßen fährt und man nachweist, dass »Leonie« Radfahrern ausweichen und aufs plötzliche Rot der Ampel schneller reagieren kann als der Fahrer, der bisher noch am Steuer sitzt, um beim Versagen oder Überfordertsein der Automatik eingreifen zu können. Es forschen auch BMW, Daimler und Audi/Volkswagen, und in den USA sind die Forschungen noch weiter als in Deutschland gediehen. Dort hat sich Google an die Spitze gesetzt, wie überall, wo es um Künstliche Intelligenz geht, und auch das Massachusetts Institute of Technology ist beteiligt. Wir haben es nicht bloß mit einer Idee zu tun, wie die Verkehrszukunft aussehen könnte, sondern sie wird entschlossen herbeigeführt mit so viel Kraft, dass man kaum sieht, wie sie noch verhindert werden könnte. Falls jemand das vorhätte.

Die Politik will dem Projekt offenbar keinen Stolperstein in den Weg legen. Man sieht es schon daran, dass sie die rechtlichen Hürden bedenkenlos abräumt. Eigentlich ist das Fahren unter ständiger menschlicher Kontrolle weltweit vorgeschrieben durch die Wiener Straßenverkehrskonvention. Dennoch dürfen die Forscher ihre Versuche machen. Man könnte doch wenigstens auf die Idee kommen, dass auch automatische Autos einem Kontrollrecht vielleicht neuer Art unterliegen sollten - nichts davon, Fehlanzeige. Dabei hätte die Politik allen Anlass zum Nachdenken. Wie kann es denn sein, dass man niemals in den Berichten auch nur ein Sterbenswörtchen davon liest, dass das Auto gewisse ökologische Probleme aufwirft, die seit langem bekannt sind?

Und doch spricht nichts gegen das automatische Auto an sich - im Gegenteil. Es mag aus Profitinteresse entwickelt werden und eine falsche staatliche Wirtschaftspolitik stützen, ist aber für sich genommen eine Technik, die auch anders und viel besser eingesetzt werden könnte: nicht fürs »pausenlose Autogewimmel«, sondern gerade für ein ökologisch optimiertes Verkehrsverbundsystem. Auch dieses wird ja geplant, obwohl es keine so starke Lobby hat. Und auch da sind Autos immer miteinbezogen. Ihre Anzahl würde drastisch gesenkt, aber niemand schlägt vor, sie ganz abzuschaffen, denn dann wäre das System zu unflexibel.

Ökologische Planungen gehen immer darauf aus, den Verkehr hauptsächlich über öffentliche Träger, also Bahnen, auch U-Bahnen, und Busse abzuwickeln, im Übrigen auch das Radfahren zu fördern. Eine deutsche Studie rechnet aus, dass die Proportion Auto zu Fahrrad zu öffentlichem Verkehr heute 50 zu 25 zu 25 beträgt, während 10 zu 50 zu 30 wünschenswert wären. Da hierbei nicht vom Auto als Ding die Rede ist, sondern von den Fahrten mit ihm, läuft die Rechnung auf noch viel weniger als die Reduzierung des heutigen Autoverkaufs auf ein Fünftel hinaus. Denn die Idee des öffentlichen Verkehrs erstreckt sich aufs Auto selber und regt daher Car Sharing an, die fallweise Nutzung desselben öffentlichen Autos durch verschiedene Personen nacheinander. Der öffentliche Verkehr in seinem Kernbereich der Bahnen und Busse ist ja deshalb ökologisch so optimal, weil ein und dasselbe Fahrzeug jeweils von vielen genutzt wird. Stellt man sich nun vor, dass der gebliebene, wenn auch stark reduzierte Autoanteil am Verbundsystem mit automatischen Autos abgewickelt würde, so scheint es zunächst, als wäre das ein vom Standpunkt des Verbundsystems belangloser Austausch einer Autoart durch eine andere. Aber dem ist nicht so.

Ihre technische Logik ähnelt derjenigen der öffentlichen Vehikel, schließt aber eine Lücke, die diese aufweisen. Was zuerst ins Auge springt, ist ja, dass die Fahrt mit ihnen eine Folge bewältigter Standardsituationen ist. Die Forschung ist zwar darauf aus, das Standardmäßige möglichst zu überwinden, so dass es am besten überhaupt keine noch so zufällige Situation geben kann, die den Automatismus überfordern würde; aber dass es hier Grenzen gibt, ist klar. Selbst der größte Zufall, der sich technisch vorausdenken lässt, kann nur durch eine verallgemeinerbare Reaktion aufgefangen werden. Wenn über technisch festgelegte Standardreaktionen, seien sie noch so differenziert, nicht hinausgegangen werden kann, dann bilden automatische Autos nur das eine Extrem eines Kontinuums von Gefährten, dessen anderes Extrem die Fahrt auf Schienen ist. Das aber ist viel. Während bei der Schienenfahrt Zufälle ganz ausgeschlossen sein sollen, liefern sich ihnen automatische Autos so weit aus, wie es bei der Standardisierung möglicher Fahrten gerade noch möglich ist.

Deshalb laufen ja hier die Wege der Forscher etwas auseinander. Die einen betonen, dass immer zur Sicherheit ein Mensch am Steuer des automatischen Autos sitzen muss, um notfalls eingreifen zu können. Wenigstens für eine Übergangszeit, sagen manche. Diese, die anderen, versprechen im Ernst die Vollautomatik. In dieser Differenz verbergen sich zwei unterschiedliche Zielsetzungen. Es müssen nämlich diejenigen die mögliche Vollautomatik behaupten, die in Aussicht stellen, dass man ein Buch lesen kann, während das Auto sich selbst steuert. Die anderen, die den Menschen als Lenker beibehalten, müssen sich das aus dem Kopf schlagen, können dafür aber weitestgehende Unfallfreiheit versprechen. Die wäre wahrlich ein riesiger Fortschritt - allein ihretwegen lohnt dieser technische Weg. Aber hier sieht man wieder, dass automatische Autos technisch gesehen den öffentlichen Gefährten ähneln, insofern als auch diese durch Standardisierung der möglichen Fahrtwege die Unfallgefahr minimieren.

So stehen sich zwei Strategien der Verwendung automatischer Autos gegenüber, eine privatunternehmerische, die nur die Beibehaltung und Steigerung des Autoumsatzes im Auge hat, und eine gesellschaftliche, die allen Anlass hätte, sie als Element eines ökologisch verträglichen Verkehrssystems einzusetzen, ihren Umsatz dabei aber zu senken. Und hier wie bei vielen Auseinandersetzungen stellt sich die Frage: Wer entscheidet es eigentlich? Das dürften nicht die Privatunternehmer selbst, das dürfte auch nicht ein ihnen höriger Staat sein. Die Gesellschaft müsste solche übergreifenden Fragen durch Wahlen entscheiden können. Um eine übergreifende Frage handelt es sich auch noch aus einem ganz anderen Grund. Die Strategie, die dafür sorgt, dass Autos automatisiert werden, zeigt sich nicht nur in der Autobranche, sondern wird auch schon für die Nutzung von Wohnungen erforscht und ist auch da schon im Stadium des Ausprobierens. »Gebäudeintelligenz«, ein »Internet der Dinge« verheißt uns ein Bericht der Zeitschrift Psychologie heute: »Kühlschränke können künftig mit Supermärkten, Autoschlüssel mit Stromtankstellen, Kalender mit Kaffeemaschinen, Rollatoren mit Stadtplänen und Ampeln kommunizieren.« Wie man sieht, steht auch da das Auto im Zentrum - es ist ja auch, wie schon sein Name sagt, in unserer Lebenswelt seit je das Paradigma aller Automatik gewesen -, doch reicht die Strategie offenbar weit darüber hinaus.

Automatische Autos erweisen sich auch dadurch als Teil einer allgemeineren Strategie, dass im Grunde auch alle Fußgänger und Radfahrer mit Sensoren versehen und miteinander vernetzt werden müssten. In diesem Fall könnten die Autos wirklich auf Menschen als Fahrer ganz verzichten. Und von der Wohnung aus würden noch die bloß möglichen Autofahrten miteinbezogen. Aber was wäre der Fluchtpunkt all dieser Anstrengungen? Der Mensch, der selber gar nichts mehr zu tun braucht? Den man dann eigentlich abschaffen könnte, um ihn ganz und gar durch Künstliche Intelligenz zu ersetzen? Übrigens ist nicht nur der Fluchtpunkt, sondern auch die Herkunft der automatischen Autos interessant. Wie so viele technische Erfindungen geht auch diese teils auf Science Fiction-Phantasien, teils auf militärische Erstnutzung zurück und wurde danach erst von Privatunternehmen aufgegriffen. Als Phantasie tauchten sie in der Fernsehserie Knight Rider schon in den 1980er Jahren auf. Militärisch werden automatische Autos bereits genauso genutzt, wie Drohnen genutzt werden. Da hat von Anfang an kein Mensch mehr dringesessen.

Das ist die Vorgeschichte, jetzt aber sind wir mit einem technischen »Selbstlauf« konfrontiert, wieder einmal, wo sich die Frage, ob wir ihn wollen oder nicht, gar nicht mehr stellt, ja nie gestellt hat - nur wie wir uns ihm anpassen, sollen wir überlegen. Geben wir uns damit zufrieden? Es wäre gewiss ganz falsch, automatische Autos abzulehnen. Sie können, wie gesehen, sehr nützlich sein. Aber das Subjekt, das den Nutzen definiert und von der Definition die Art der Ausführung abhängig macht, sollte die Gesellschaft sein.

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