Mutter allein zu Haus

»Ohne Freunde und Familie ginge gar nichts«

  • Sarah Liebigt
  • Lesedauer: 3 Min.

Ben, eigentlich Benedikt, hat Zahnschmerzen, den ganzen Vormittag schon, und muss nun doch aus der Kita abgeholt werden. Sophia (36) arbeitet seit einer Weile wieder Vollzeit, ist noch mitten in der Probephase. Probephase meint: Zwei Kinder und 40-Stundenjob wieder unter einen Hut bringen. Lilja bekommt bald ihr Halbjahreszeugnis, Ben bleibt seit rund drei Monaten den ganzen Tag in der Kita. »Wir haben uns langsam rangetastet an das Ganztagsprogramm für uns drei«, erzählt Sophia.

Es ist Mittwochabend und es ist ruhig in der 3-Zimmer-Wohnung am Kölner Stadtrand. Erstaunlich ruhig. Den Mittwochabend habe sie sich in langen Planungen mit Familie und Freunden zu einem regelmäßig freien Abend freigeschaufelt, sagt Sophia. Die zehnjährige Lilja macht einen Tanzkurs und bleibt danach immer noch eine Weile im Kulturhaus, »mit den Großen in der Holzwerkstatt arbeiten«. Auch die Tatsache, dass Ben Zahnschmerzen hat, ändert an dieser Regel nichts. Sophia hat ihn mittags abgeholt, war mit ihm beim Arzt, hat ihn danach zu ihrer Schwester gebracht, die selbst gerade mit dem ersten Kind zu Hause ist. »Nichts schlimmes«, sagt sie lächelnd.

Kurz nach Bens Geburt haben Sophia und ihr Mann beschlossen, sich zu trennen. Ohne Streit, ohne große Krise. Die Kinder habe das natürlich trotzdem beeinflusst, meint Sophia. Die Umbruchzeit war anstrengend. Umzug, neuer Kitaplatz, Teilzeitarbeit, Verhandlungen mit ihrem Arbeitgeber, Einschulung von Lilja, Trennungspapierkram. Ein Jahr hat es gedauert, bis sich das Leben in seinen neuen Bahnen beruhigt hat.

Jedes zweite Wochenende holt ihr Ex-Mann die Kinder zu sich. »Mein Mann und ich waren keine Helicoptereltern. Natürlich spielen Lilja und Ben eine riesige Rolle - aber wir haben auch noch ein eigenes Leben.« Ein Leben, dass heute häufiger zu kurz kommt. Die paar Stunden am Mittwoch seien nicht damit zu vergleichen, wenn zwei Elternteile Kinder großziehen. Zeit ist nie genug da.

An einer Wand im Flur hängen über einer Kommode zahllose Bilderrahmen, kleine, größere, alte und neue. Strandbilder, Fotos der Kinder in fast jedem Alter, Grillfeste, Winterlandschaften mit Schlittenspuren. »Das Jahr hat mir gezeigt, wie wichtig ein dichtes Netzwerk ist. Mein Freundeskreis ist nicht mit meiner Ehe zerbrochen, meine Familie hat, ohne dumme Kommentare oder blöde Fragen geholfen, wo Hilfe nötig war.« Irgendwann haben Freunde angefangen, ihr Momentaufnahmen aus dem »neuen Leben« zu schenken, seit dem wächst die Bildwand. »Das ist eine Absicherung«, sagt Sophia mit Blick auf die vielen Fotos. »Als alleinerziehende Mutter steht man einmal die Woche da und will alles hinschmeißen, weil man glaubt, dass alles zu viel wird.« Die wachsende Collage erinnert sie an das Netzwerk, das sie in solchen Momenten auffangen kann. Sarah Liebigt

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