»Afghanen sind nicht so billig«

Emran Feroz über Entschädigungszahlungen für getötete afghanische Zivilisten

  • Lesedauer: 3 Min.

Vor genau drei Jahren, am 11. März 2012, kam es in der afghanischen Provinz Kandahar zu einem der schlimmsten Kriegsverbrechen seit der US-Invasion vom Oktober 2001. Ein amerikanischer Soldat verließ nachts sein Camp, um in zwei nahe gelegene Dörfer einzudringen, die von Bauern und deren Familien bewohnt wurden.

In beiden Orten tötete Robert Bales 16 Menschen, hauptsächlich Kinder, Frauen und Greise. Sechs weitere Menschen ließ er schwer verwundet zurück. Das jüngste Oper war ein zweijähriges Mädchen. Im September 2013 wurde der Täter von einem US-Militärgericht zu lebenslanger Haft verurteilt – und als »psychisch labil« abgestempelt.

Elf der Opfer waren Familienmitglieder des Bauers Mohammad Wazir aus dem Dorf Panjwai. Vier seiner Töchter, sein Bruder und dessen Frau sowie das Kind wurden ermordet. Wazir selbst befand sich zum Zeitpunkt der Tat bei Verwandten in einem Nachbarort. Was passiert war, erfuhr er am Telefon. Nach der Tat erhielt Wazir seitens des US-Militärs 50.000 Dollar für jeden, der aus seiner Familie getötet wurde. Mit den Entschädigungsgeldern und der Narrative des psychisch kranken Einzeltäters war für Washington der Fall so gut wie abgeschlossen. Ein afghanisches Untersuchungsteam kam jedoch zum Schluss, dass mehrere Soldaten, mindestens fünfzehn bis zwanzig, an dem Massaker beteiligt gewesen sein mussten.

An einer offiziellen Anhörung seitens der afghanischen Regierung nahm Wazir gemeinsam mit einigen Dorfältesten teil. Mit folgenden Worten richtete er sich damals an Hamid Karzai, dem damaligen Präsidenten: »Herr Präsident, wir wollen Gerechtigkeit.« Karzai wusste jedoch, dass daraus nichts wird und schwieg deshalb.

Kriminelle US-Soldaten dürfen nicht vor afghanischen Gerichten landen. Durch das Bilaterale Sicherheitsabkommen (BSA) mit den USA, welches Ende vergangenen Jahres von Ashraf Ghani, dem neuen Präsidenten, unterzeichnet wurde, wurde dieser Punkt noch zusätzlich verstärkt. Auf internationaler Ebene sieht das Ganze nicht anders aus. Da die USA den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag nicht anerkennen, darf kein US-Soldat wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit auf einer Anklagebank landen.

Im Vergleich zu anderen zivilen Opfern war Wazirs Familie jedoch viel wert. Recherchen haben ergeben, dass die USA für getötete afghanische Zivilisten im Durchschnitt 2.400 Dollar Entschädigung gezahlt hat. Der Grund hierfür war wohl die Tatsache, dass das Massaker von Kandahar in kurzer Zeit medial hohe Wellen schlug, da lokale Journalisten schnell vor Ort waren. Da diese jedoch in viele abgelegenen Gegenden des Landes nicht hingelangen, bleiben auch etwaige Verbrechen seitens der NATO-Soldaten im Dunkeln. Dementsprechend gibt es dann auch keinerlei Entschädigungen. Ein gutes Beispiel hierfür sind die zahlreichen zivilen Drohnen-Opfer, die von allen Seiten, auch von Journalisten, vollständig ignoriert werden.

Entschädigungszahlungen gab es auch seitens der Bundeswehr. Berichten zufolge soll sie rund 1,1 Millionen Dollar für die von ihr verursachten Kriegsschäden in Afghanistan gezahlt haben, mehr als die Hälfte davon ging an die Opfer des vom damaligen Bundeswehroberst Georg Klein veranlassten Massakers von Kunduz. Dabei zahlte die Bundeswehr für Menschenleben 5.000 Dollar, während es für zerstörte Autos 10.000 Dollar gab. Währenddessen erhalten die Angehörigen gefallener Bundeswehrsoldaten rund 100.000 Euro.

Zu den Kritikern dieser Praxis gehört der Bremer Anwalt Karim Popal, der die Angehörigen der Opfer von Kunduz vertritt. Unter anderem verlangt Popal eine höhere Entschädigung seitens der Bundeswehr und fordert 39.000 Euro für jeden getöteten Angehörigen. »Afghanen sind nicht so billig«, so Popal. Für Menschen wie Mohammad Wazir spielen derartige Zahlen jedoch keine Rolle. Mit all dem Geld lässt sich nämlich niemand lebendig machen.

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