Die konservative Familienpolitik ist überholt

Bundesarbeitsgemeinschaft kommunaler Frauenbüros: Obwohl das Thema Lohngleichheit seit Jahren auf der Agenda steht, sind Frauen nach wie vor die Verlierer

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Brigitte Kowas ist Gleichstellungsbeauftragte im Bezirksamt Reinickendorf von Berlin. Seit Januar 2014 ist sie Bundessprecherin der Bundesarbeitsgemeinschaft kommunaler Frauenbüros (BAG). Dort ist sie u.a zuständig für die Themen Equal Pay, Armut/Altersarmut, Gender Mainstreaming, das Gleichstellungspolitische Rahmenprogramm sowie die EU-Charta der Gleichstellung. Mit ihr sprach anlässlich des Equal Pay Day Sarah Liebigt.

nd: 2009 waren es noch 23 Prozent, die Frauen durchschnittlich weniger verdienten als Männer. In diesem Jahr sind es 22 Prozent. Warum nimmt die Differenz derart langsam ab?
Brigitte Kowas: Seit sieben Jahren ist das Thema auf der Agenda, erst langsam entsteht eine gesellschaftliche Wahrnehmung des Lohnunterschiedes, auch in der Politik ist Handlungsbedarf entstanden. In dieser Legislaturperiode ist ein Entgeltgleichheitsgesetz geplant, was die Unternehmen dazu zwingt, ihre Gehaltsstrukturen offenzulegen. Das wäre aus unserer Sicht ein großer Schritt, einen gesetzlichen Rahmen zur Beseitigung der Lohnungleichheit in Deutschland zu schaffen. Frauen müssen um dieses Thema wissen und schon sehr früh sollte die Diskussion um dieses Thema geführt werden. Hier ist die Kampagne zum Girls’ Day, der übrigens in diesem Jahr am 23. April stattfindet, eine gute Möglichkeit, in Technik, IT und handwerkliche Berufe reinzuschauen, um geschlechtstypische Vorurteile abzubauen.

Frauen arbeiten häufiger in Minijobs, häufiger in Teilzeit, usw. Wie kann man darauf aufmerksam machen, wie auch Männer für den Tag sensibilisieren?
Die gesellschaftlichen Entwicklungen zeigen deutlich, dass die konservative Familienpolitik überholt ist. Junge Frauen erzielen heute bessere Abschlüsse als Männer und wollen auch in ihren Berufsfeldern eine gleichberechtigte Beteiligung am Arbeitsleben. Hier spielen unsere Bewertungsmaßstäbe von Arbeit eine große Rolle: Warum ist die Tätigkeit eines Handwerkers höher bewertet als die einer Pflegekraft im Altersheim? Da muss noch viel getan werden, u.a. bei einer guten Kinderbetreuung und der Möglichkeit, nach der Geburt eines Kindes zu guten Konditionen an den Arbeitsplatz zurückkehren zu können. Die Verlierer sind nach wie vor die Frauen, sie müssen sich oft noch zwischen Kindern oder Karriere entscheiden. Studien belegen, dass auch Männer/Väter ein Interesse haben, mehr an der Familie teilhaben zu können. Das Modell der Zukunft ist eine gleiche Teilung der Arbeitszeit, z.B. 30/30 Wochenstunden.

Der Equal Pay Day (EPD) wird in zwölf europäischen Ländern begangen. Wie kann eine Vernetzung mit diesen Ländern aussehen?
Bisher gibt es zwischen den europäischen Ländern keine übergreifenden Projekte. Jedoch gibt es in allen Ländern Initiativen zum EPD und das Bewusstsein dafür nimmt zu. In den 34 Industriestaaten, die sich in der OECD zusammengeschlossen haben, liegt die Differenz im Schnitt nur bei 16 Prozent. In Norwegen etwa bekommen Frauen lediglich 8,4 Prozent und in Belgien 8,9 Prozent weniger Gehalt als Männer.

Wenn Frauen wissen, was ihre männlichen Kollegen verdienen, können sie gleichberechtigt in Gehaltsverhandlungen gehen. Was hält die BAG von Forderungen wie der nach transparenten Vergütungsstrukturen und Arbeitsbewertungsverfahren?
Der diesjährige EPD steht unter dem Motto »Transparenz. Spiel mit offenen Karten. Was verdienen Frauen und Männer?« Transparenz ist eine zentrale Voraussetzung, um die bestehende Lohnlücke endlich zu schließen. Wenn Frauen und Männer gleichermaßen wissen, was in ihrem Unternehmen in vergleichbarer Position tatsächlich verdient wird, können sie den Anspruch auf gerechte Entlohnung durchsetzen. Die Bundesarbeitsgemeinschaft unterstützt diese Forderungen.

Ist die unlängst von der Bundesregierung beschlossene Frauenquote ein richtiger Schritt auf dem Weg zur Gleichstellung von Frauen und Männern? Wer profitiert Ihrer Meinung nach davon?
Die Quote und gesetzliche Verankerung der gleichberechtigten Teilhabe von Frauen und Männern in der Privatwirtschaft und Verwaltung ist ein Meilenstein zur Verwirklichung des Grundgesetzes Artikel 3, Abs. 2. Es gibt Länder, die es uns vorgemacht haben, wie Norwegen: Dort wurde vor etwa zehn Jahren die Quote von 40 Prozent eingeführt. Dieses natürlich auch gegen viel Widerstand. Heute ist selbstverständlich, dass Frauen Vorstandsposten und Aufsichtsräte besetzen und die Wirtschaft steht besser denn je.

www.22-prozent.de www.lohnspiegel.de

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