Nichteinmischung oder bewaffnetes Eingreifen

Palästinenser streiten über militärisches Vorgehen in Jarmuk / Schwere Gefechte mit islamistischen Terrormilizen

  • Karin Leukefeld
  • Lesedauer: 3 Min.
Der Einmarsch der Terrormiliz »Islamischer Staat« in das palästinensische Flüchtlingslager Jarmuk im Süden von Damaskus stellt die Einheit der Palästinenser erneut auf eine harte Probe.

Damaskus. Palästinensische Kämpfer drangen nach eigenen Angaben am Freitag bis ins Zentrum von Jarmuk vor. Hier lieferten sie sich, unterstützt durch Artilleriebeschuss der syrischen Armee, schwere Gefechte mit dem »Islamischen Staat« (IS), der in der arabischen Welt Daesch genannt wird. Dessen Kampfverbände waren vor einer Woche aus südlichen Vororten nach Jarmuk einmarschiert, nachdem Kämpfer der Al-Nusra-Front, (der syrische Ableger von Al Qaida) ihnen den Zugang ermöglicht hatten.

Angesichts der dramatischen Entwicklung hatte Palästinenserpräsident Mahmud Abbas Anfang der Woche eine hochrangige Delegation nach Damaskus geschickt, die mit den palästinensischen Gruppen vor Ort über das weitere Vorgehen beraten sollte.

Der PLO-Vertreter Ahmed Majdalani teilte am Donnerstag auf einer Pressekonferenz mit, dass man sich nach zweitägigen intensiven Beratungen für ein militärisches Vorgehen entschieden habe. Gemeinsam mit der syrischen Armee solle die palästinensische Armee, die nach einer Vereinbarung mit der syrischen Regierung für die Sicherheit des nach dem arabisch-israelischen Krieg 1948 entstandenen Lagers verantwortlich ist, den IS und die Nusra-Front zurückdrängen.

Nur wenige Stunden später veröffentlichte die PLO-Führung in Ramallah eine Erklärung, in der das bewaffnete Vorgehen in Jarmuk zurückgewiesen wurde. Die PLO halte an dem Prinzip ihrer Nicht-Einmischung in die Angelegenheiten eines »Gastlandes« fest, hieß es in deutlicher Abgrenzung zu der Entscheidung der Palästinensergruppen vor Ort. Vertreter palästinensischer Organisationen konnten für eine Stellungnahme nicht erreicht werden.

Palästinenser in Damaskus, die seit Ende 2012 durch den Vormarsch bewaffneter Gruppen gezwungen waren, ihre Wohnungen in Jarmuk aufzugeben, unterstützen das bewaffnete Vorgehen gegen IS und die Nusra-Front ausdrücklich. Auch Khalid (Name geändert) will sich einer bewaffneten Gruppe anschließen, um Jarmuk zurückzuerobern. »Daesch ist gekommen, um mich zu töten«, sagt er »nd«. »Da hilft kein Verhandeln, ich muss mich mit der Waffe verteidigen.«

Ein Angriff mit der syrischen Armee gegen den IS und die Nusra-Front sei wohl die einzige Lösung, die noch bliebe, sagt ein palästinensischer Familienvater. Er wohnt seit Ende 2012 mit seiner Familie in einem kleinen Hotel im Damaszener Zentrum. »Sie müssen alles zerstören, um es zu befreien, so sieht es aus«, meint er bitter. Sein Haus in Jarmuk, für das er 15 Jahre am Golf gearbeitet hatte, wurde bereits 2013 während der Kämpfe komplett zerstört.

Die Lage in Jarmuk ist auch deswegen so kompliziert, weil die palästinensische Hamas sich seit 2011 an den bewaffneten Kämpfen in Syrien beteiligt hat. Die Hamas habe ihre brüderlichen Verbindungen zur Muslimbruderschaft - die sich damals in Tunesien, Ägypten, Jordanien und in Jemen als Sieger des »Arabischen Frühlings« wähnte - über die gemeinsamen palästinensischen Interessen gestellt, wie es Anwar Abdul-Hadi, der PLO-Vertreter in Damaskus bereits Anfang 2014 in Damaskus formulierte.

Erst Anfang April 2015 war die bewaffnete Gruppe der Hamas in Jarmuk schließlich zu einem lokalen Waffenstillstand bereit, damit die Einwohner zurückkehren könnten. Die Gruppe, die sich »Aknaf al Makdis« nennt, was auf eine Überlieferung aus dem Koran zurückgeht und so viel heißt wie »In der Umgebung von Quds« (Jerusalem), hatte dafür offenbar die Zustimmung der Nusra-Front erhalten, ihre bewaffneten Kämpfer aus Jarmuk abzuziehen. Die Unterzeichnung der Einigung war für den 9. April vorgesehen.

Wie aber schon häufiger zuvor, änderte die Nusra-Front ihre Ansicht und ließ weitere Kämpfer aus den südlichen Vororten nach Jarmuk einmarschieren.

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