Wenn das Geld nicht fürs Hundefutter reicht

Finanziell bedürftige Menschen haben oft Schwierigkeiten, ihre Haustiere zu versorgen. Gespendetes Futter hilft kurzfristig, löst aber das grundlegende Problem nicht

  • Anja Sokolow
  • Lesedauer: 3 Min.
Tierbesitzer, die nicht mehr genug Geld für das Futter haben, können sich an die Tiertafeln wenden. Experten bezweifeln jedoch den Nutzen - und kritisieren, dass die Tafeln nur Symptome bekämpften.

Schon von weitem ist das Gebell unüberhörbar. Etwa ein Dutzend Halter und ihre Hunde warten vor einer ehemaligen Hortbaracke in Berlin-Baumschulenweg auf die Futterausgabe der Tiertafel. Sie sind viel zu früh da, schließlich ist es oft voll. »Manchmal stehen die Leute eine Stunde in der Warteschlange«, sagt die Chefin der Tiertafel, Linda Oldenburg.

Mit anderen Ehrenamtlichen verteilt sie alle zwei Wochen Futter und Zubehör an Tierbesitzer, die sich die Versorgung ihrer Haustiere nicht oder kaum noch leisten können. »Etwa 220 Halter kommen jedes Mal, im Schnitt haben sie zwei Tiere«, erzählt Oldenburg. Meistens seien es Hunde, aber auch Katzen, Nager, Vögel und zum Teil auch Exoten. Zudem könnten die Besitzer ihre Tiere bei einer Tierärztin billiger behandeln lassen.

Bundesweit gibt es Tiertafeln, die nach einem ähnlichen Prinzip wie jene für Menschen arbeiten: Ehrenamtliche sammeln Spenden und verteilen sie an Bedürftige. Das sind vor allem Rentner, Arbeitslose, chronisch Kranke und Erwerbsunfähige.

»Die Tendenz ist leider steigend. Immer mehr Menschen sind auf unsere Unterstützung angewiesen«, berichtet Andrea de Mello, Vorstandsmitglied der Münchner Tafel. Viele Halter seien verzweifelt, weil sie Angst hätten, dass sie ihr Tier aus finanzieller Not abgeben müssten. »Für die meisten ist das Tier der letzte verbliebene Freund«, sagt die ehrenamtliche Helferin.

Die Ursprünge der Tiertafeln liegen im brandenburgischen Rathenow. Dort wurde 2006 der Verein Tiertafel Deutschland gegründet, der die Arbeit koordinierte. Doch gegen dessen ehemalige Vorsitzende ermittelt seit 2013 die Staatsanwaltschaft Potsdam wegen des Verdachts der Untreue. Sie sei bereits vernommen worden, sagte ein Sprecher. Die Ermittlungen dauerten aber noch an, da weitere Bankunterlagen aufgetaucht seien. Die Ex-Vorsitzende war trotz mehrfacher Versuche nicht für eine Stellungnahme zu erreichen.

Derzeit fungiert der Magdeburger Jürgen Degenkolbe als Notvorstand. Er war von 2012 bis 2013 Kassenprüfer bei der Tiertafel Deutschland. »Dabei sind mir gewisse Unstimmigkeiten aufgefallen«, erzählt er. Da diese nicht intern geklärt werden konnten, habe er den Fall zur Anzeige gebracht. »Es ist schade, dass die Sache so aus dem Ruder gelaufen ist«, sagt Degenkolbe. Nach seinen Angaben gehören nur noch 2 von einst 18 Tafeln zum Verein.

Durch die Eigenständigkeit sei die Spendenwerbung jetzt einfacher, sagt Oldenburg. Etwa 2,5 Tonnen Futter sammelt und verteilt die Berliner Tiertafel monatlich. Dazu zählen Dosen- und Trockenfutter, aber auch Leckerli und teures Spezialfutter, etwa für Tiere mit Diabetes oder sensiblem Magen. Die Spenden kommen aus Sammelboxen in Zoohandlungen, Baumärkten oder werden von Unterstützern im Internet bestellt, wo der Verein eine Wunschliste veröffentlicht hat. »Was fehlt, kaufen wir mit Spendengeld zu«, so Oldenburg.

Sich in einer schwierigen Situation ein Tier anzuschaffen, sei unverantwortlich, betont sie. Solchen Haltern helfe der Verein nicht: »Wir unterstützen nur Leute, die schon ein Tier hatten, als sie in Not geraten sind.«

Stefan Selke, Professor für Gesellschaftlichen Wandel an der Hochschule für angewandte Wissenschaften in Furtwangen, bezweifelt, dass die Tafeln das Armutsproblem wirklich bekämpfen. Er spricht gar von einer »Vertafelung der Gesellschaft«. »Es entstehen moralische Unternehmen, die der Gesellschaft das gute Gefühl vermarkten, dass den Betroffenen geholfen wird und sonst nichts mehr zu tun sei. Das führt zu einer Entskandalisierung des eigentlichen Problems und lenkt von der Verantwortung des Staates ab«, kritisiert Selke. Es passe aber zum Zeitgeist, dass wir uns viel mehr mit Symptomen beschäftigten als mit den eigentlichen Problemen. dpa/nd

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