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  • 13. nd-Lesergeschichten-Wettbewerb

Spiel des Lebens

  • Svenja Grütt, Kromsdorf (2. Platz)
  • Lesedauer: 3 Min.
Eigentlich schreibt die 16-Jährige schon, seit sie die Buchstaben kennt. Da verwundert es nicht, dass die Elftklässlerin, nach ihren beruflichen Zukunftswünschen befragt, erklärt, irgendwas machen zu wollen, was mit Schreiben zu tun hat. Vielleicht Journalistin, vielleicht Autorin - sie habe ja noch Zeit, sich zu entscheiden. Dass von ihr noch zu lesen sein wird, dürfte als gesetzt gelten.
Eigentlich schreibt die 16-Jährige schon, seit sie die Buchstaben kennt. Da verwundert es nicht, dass die Elftklässlerin, nach ihren beruflichen Zukunftswünschen befragt, erklärt, irgendwas machen zu wollen, was mit Schreiben zu tun hat. Vielleicht Journalistin, vielleicht Autorin - sie habe ja noch Zeit, sich zu entscheiden. Dass von ihr noch zu lesen sein wird, dürfte als gesetzt gelten.

Man kommt sich vor wie ein Sportler, wenige Sekunden, bevor der Startpfiff ertönt, wie ein Sänger, wenige Sekunden bevor man die Bühne betritt, wie ein Tänzer, wenige Sekunden, bevor er die Leute begeistern muss - oder wie ein Schüler, wenige Sekunden, bevor er sein Abiturzeugnis in den Händen hält. Alles zieht an einem vorbei, als wäre man in Watte gepackt. Glück und Nervosität vermischen sich zu einem ganz neuen Cocktail aus Gefühlen, welchen wir gar nicht wirklich ertragen können, gar nicht begreifen können, was das alles für Ausmaße hat. Dieses Stück Papier wird über unsere Zukunft entscheiden, zumindest kann es uns helfen, einen Weg zu finden in diesem großen Wirrwarr, was wir Menschen so liebevoll »Leben« nennen.

Aber es war nicht immer einfach, und wenn man nicht schon in seinen jungen Jahren genug verängstigt war durch große Geschwister und die Alten der Verwandtschaft, hatte sich die Natur noch einen besonderen Spaß ausgedacht. Ja genau: die Pubertät! Jene Einrichtung der Natur, die unsere Hormone durcheinanderwirbelt und uns am Ende ziemlich durchgeschüttelt und mit Gefühlschaos-Himmelhochjauchzend-Liebeskummer-Herzschmerzgesülze à la Hollywood in die Welt wirft.

»Hallo Mutter Natur?! Was hast du dir denn dabei gedacht? Bist du denn nun völlig übergeschnappt?!« »Ach meine liebe kleine Maus! Jetzt lass mich doch auch meinen Spaß mit euch kleinen verwirrten Menschlein haben! In meinem Alter muss man sich immer neue Dinge überlegen, um euch an die Fortpflanzung zu erinnern.«

»Erspar mir dein Altweibergewäsch! Einfach schlimm die Frau! Denk doch einer mal an die Kinder!«

Aber alles Zetern hilft nichts, und irgendwie muss sich jedes kleine Mädchen und jeder kleine Junge durch dieses ewig dauernde Trübsal quälen, nur um am Ende gefühlte zwei Meter größer, vier IQ-Punkte schlauer und ein Dutzend Mal verunsicherter dort rauszukommen.

Wer jetzt denkt, es geht nicht schlimmer, kann sich kurz eines Besseren von mir belehren lassen. Es geht IMMER schlimmer! Beispielsweise, wenn die jungen Menschen, keine 19 Jahre alt, jetzt in dieses Leben geworfen werden. Da ist es ganz schnell vorbei mit dem Karibikfeeling Hotel Mama. Ganz unvermittelt. Können wir kurz die Pausentaste drücken und dann noch einmal zurückspulen? Nur ganz kurz? Für einen Mittagsschlaf? Immerhin haben wir uns den nach dem ganzen Lernen echt verdient, oder?

»Ja!« »Nein!« »Du mischst dich da nicht mit ein! Halt deinen evolutionären Mund!« »Spielverderberin!« »Ein blödes Spiel! Sind wir hier bei Spiel des Lebens?« »Eigentlich hatte ich damals mehr an Russisch Roulette gedacht. Jede neue Entscheidung auf Risiko. Alles oder nichts! Genial, oder? Endlich kommt da ein wenig Leben auf die Erde!« »Ach halt doch den Mund!« »Mach doch, was du willst, du zickiger Mensch! Bist doch eh nie zufrieden mit dem, was ich dir schenke.« »Jetzt sei doch nicht eingeschnappt.«

Na toll. Jetzt ist mein Leben auf mich sauer. Das sind ja beste Voraussetzungen, um ein Studium zu beginnen. Und wir sind, waren alle und werden alle wie der Sportler, der Musiker oder der Tänzer sein. Voller Anspannung und Erwartung auf das, was noch auf uns zukommt.

Ich stehe erst am Anfang meines Lebens und habe noch alle Zeit der Welt, falsche Entscheidungen zu treffen, mich zu verlieben und am nächsten Morgen mit rosa Haaren in einer fremden Badewanne aufzuwachen. Doch eines steht fest: »Alle Wege sind offen.«

Svenja Grütt ais Kromsdorf bei Weimar »Spiel des Lebens« [anhören]

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