Herr Déjà-vu
PERSONALIE
Als Kind verschlang er »Oliver Twist«, 1968 gründete er in Hannover den dortigen »Club Voltaire«, 2007 wurde er Vorsitzender der Wilhelm-Busch-Gesellschaft - und dazwischen war Herbert Schmalstieg lange Jahre Oberbürgermeister der niedersächsischen Landeshauptstadt.
Dass der 1943 geborene Sozialdemokrat nun von Gewerkschaftsseite zum Schlichter im eskalierten Arbeitskampf der kommunalen Erziehungs- und Sozialbeschäftigten nominiert wurde, liegt aber nicht nur am linksliberalen, humorigen Wesen des 71-Jährigen, der an der Leine als »Kultbürgermeister« gilt. Von Bedeutung ist wohl auch, dass Frank Bsirske ihn aus dem Rathaus kennt: Dort arbeitete der ver.di-Chef einst im Personaldezernat. Und jenseits dieser alten Bande hatte Schmalstieg 2010 schon mal in einem Arbeitskampf der Bundes- und Kommunalbeschäftigten vermittelt - gleichfalls mit dem auch jetzt arbeitgeberseitig als Partner eingesetzten sächsischen Ex-Ministerpräsidenten Georg Milbradt (CDU).
Fünf Jahre sind eine lange Zeit, die Bedingungen mögen sich verändert haben. Doch ist Gewerkschaftern die Schlichtung von 2010 nicht eben positiv in Erinnerung. Kritische Gewerkschafter hatten die Tarifrunde als defensiv kritisiert, mit knapp über 75 Prozent fiel die Zustimmung der Mitglieder am Ende mager aus. Bsirske selbst räumte ein, das Ergebnis sei kein Grund zum Jubeln.
Auch diesmal ist der Gang in die Schlichtung offenbar nicht unumstritten. Einmal mobilisiert wollen die Mitglieder Ergebnisse sehen - zumal ver.di bisher sehr entschlossen auftrat und nicht bloß für ein paar Prozentpunkte stritt, sondern mit einer sozialmoralischen Aufwertung von Berufsgruppen argumentierte.
Sollte das, was Schmalstieg und Milbradt diesmal präsentieren, sich als Déjà-vu von 2010 erweisen und diese gesellschaftspolitische Dimension nicht abbilden, wäre das für ver.di fatal: Denn die politische Bedeutung der Gewerkschaft ist untrennbar mit ihrer Mobilisierungskraft verbunden, mit dem Vertrauen der Mitglieder in ihre Führung.
Wir stehen zum Verkauf. Aber nur an unsere Leser*innen.
Die »nd.Genossenschaft« gehört denen, die sie lesen und schreiben. Sie sichern mit ihrem Beitrag, dass unser Journalismus für alle zugänglich bleibt – ganz ohne Medienkonzern, Milliardär oder Paywall.
Dank Ihrer Unterstützung können wir:
→ unabhängig und kritisch berichten
→ übersehene Themen in den Fokus rücken
→ marginalisierten Stimmen eine Plattform geben
→ Falschinformationen etwas entgegensetzen
→ linke Debatten anstoßen und weiterentwickeln
Mit »Freiwillig zahlen« oder einem Genossenschaftsanteil machen Sie den Unterschied. Sie helfen, diese Zeitung am Leben zu halten. Damit nd.bleibt.