Verstecken, so lange es geht

Initiative will mit Positionspapier Druck auf Senat erhöhen, Angebote für obdachlose Frauen auszubauen

  • Lesedauer: 4 Min.

Im April jedes Jahres endet die Kältehilfesaison. Nun sollen 30 Prozent aller Wohnungs- und Obdachlosen in Berlin weiblich sein. Im Straßenbild fallen eher die Männer auf. Wo sind diese rund 3000 Frauen?

Das ist in der Tat ein sehr kniffliges Problem. Frauen geben sich sehr große Mühe, ihre Obdachlosigkeit zu verstecken. Sie versuchen noch so lange sie bei Kräften sind, halbwegs gepflegt aufzutreten. Erst wenn sie einer Frau wirklich ansehen können, dass sie obdachlos ist, dann können sie davon ausgehen: Diese Frau ist am Ende ihrer Kräfte.

Wie gelingt dieses Verschleiern?

Zunächst beginnt die Obdachlosigkeit mit dem Wandern von Freundin zu Freundin oder von einer unsteten Beziehung in die nächste. Sie geben sich stark Mühe ihre Wäsche immer irgendwo waschen zu können. Irgendwann ist dieser Kreislauf aber erschöpft.

Auf einer Tagung in der letzten Woche haben sie mit verschiedensten Fraueninitiativen über die Situation obdachloser Frauen beraten. Was kam dabei heraus?

Ein Ergebnis war, dass die Zahl der obdachlosen - und ich meine nicht wohnungslosen - Frauen mit Kindern in Berlin stark ansteigt. Viele Mütter haben Sorge, dass ihre Situation bei den Behörden bekannt wird und ihnen die Kinder weggenommen werden. Deshalb melden sie sich auch nirgends, um ihre Rechte nach dem Sozialgesetzbuch einzufordern. Und die Noteinrichtungen sind auf Frauen mit Kindern überhaupt nicht vorbereitet. Hinzu kommt die steigende Zahl der Frauen aus Ost- und Mitteleuropa. Mittlerweile sollen es 40 bis 50 Prozent aller wohnungslosen Frauen sein. Da fehlt es zusätzlich in allen Einrichtungen an Dolmetschern.

Warum steigt diese Zahl?

Auf der Tagung haben alle Teilnehmer bestätigt, dass die Wohnungsbaugesellschaften praktisch keine Fluktuation ihrer Mieter mehr haben. Die Stadt wächst und der Neubau kommt nicht hinterher. Hinzu kommen die steigenden Mieten im Innenstadtbereich. Wenn ein Vermieter sich bei der Übernachfrage aussuchen kann, wen er nimmt, wird das sicherlich nicht die Frau sein, die bisher noch nicht mal eine feste Adresse nachweisen kann.

Wären nicht die über 300 Plätze in den Berliner Frauenhäusern die erste Anlaufstelle?

Nein, die Frauenhäuser haben ja strikte Regeln. Dort werden nur Frauen aufgenommen, die nicht in irgendeiner Form suchtabhängig sind. Außerdem dürfen keine psychischen Erkrankungen vorliegen. Das möchte ich auch gar nicht kritisieren. Dort leben Frauen, die Ruhe und Schutz benötigen. Auf Frauen, die eigentlich eine sozialpsychiatrische oder Suchttherapie benötigt, sind diese Häuser nicht vorbereitet. Es gibt in Berlin nur eine Einrichtung mit psychiatrischer Betreuung. Dabei geht es hier um Frauen, die lange brauchen, um wieder Fuß zu fassen und keine Kraft für Anträge bei Ämtern mehr haben.

Wohin können sich diese Frauen denn überhaupt wenden?

Wenn eine Frau in Schöneberg als wohnungslos gemeldet ist und irgendwelche Umstände sie nach Neukölln bringen, dann muss sie ihr ganzes Drama dort noch einmal schildern, was für sie mit Scham besetzt ist. Ihr Trauma wiederholt sich für sie also permanent. Eine Koordinierungsstelle gibt es nicht. Das ist eine weitere Forderung aus dem auf der Tagung vorgestellten Positionspapier. Berlin tut viel im Bereich der Obdachlosenhilfe, aber das sind mehrheitlich eben gemischte Einrichtungen. Frauen, von denen wir hier sprechen gehen auf Teufel komm raus dort nicht hin.

Da darf ich Ihnen ein Zitat von CDU-Sozialsenator Mario Czaja aus dem Jahr 2013 vorlesen? Er sagte, die Träger würden solche getrennten Einrichtungen gar nicht wollen.

Zu dieser Zeit gab es tatsächlich noch etliche Träger, die sich sehr schwer taten. Als wir vor über fünf Jahren als überparteiliche Fraueninitiative angefangen haben uns mit dem Thema zu beschäftigen, kam das dadurch, dass wir Gespräche mit Einrichtungen geführt haben, die sich stark in der Obdachlosenbetreuung engagieren, die uns aber sagten, eine Einrichtung für Frauen sei zu schwierig. Es geht um Frauen, die schwere Gewalterfahrungen gemacht haben, die traumatisiert sind und nie therapeutisch behandelt wurden. Das sind nun mal keine pflegeleichten Menschen.

Auf der Tagung waren auch viele Trägervereine dabei. Ist das Problem inzwischen angekommen?

Inzwischen wird es von fast niemandem mehr bestritten, dass wir mehr niedrigschwellige reine Fraueneinrichtungen brauchen. Auch aus der Politik nicht. Es gibt in Berlin beispielsweise nur eine Notübernachtungsstelle für Frauen mit, sage und schreibe neun Betten. Dazu wenige Angebote, wo sie tagsüber bleiben können, um Wäsche zu waschen. Das sind keine dauerhaften Lösungen.

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