Schwarze Milch der Frühe
TV-Tipp: »Paul Celan - Dichter ist, wer menschlich spricht«
Ein Dichterleben im Film, gar fernsehkompatibel? Wer zieht hier wen zu sich hinauf, oder herunter? Aber wer das Filmemacherduo Ullrich Kasten und Hans-Dieter Schütt kennt (Filme zu den Langhoffs, zum Theater im geteilten Berlin, zu Hitler und Stalin, über Molotow oder zuletzt Lenin), der weiß, Kompromisse in ästhetischen Fragen vermeiden sie mit Entschiedenheit.
Nun also der Dichter Paul Celan und seine »atemlose Stille des Verstummens«. Der Untertitel zum Film klingt nach Beschwörung. Dichter ist, wer menschlich spricht? Aber bis wohin, in welche Regionen der Negation reicht doch dieses Allzu-Menschliche! Es war immerhin Heinrich Mann, der sagte: »Der ideale Künstler wäre ein Ungeheuer.«
Wir wissen von Paul Celan gemeinhin nicht viel mehr, als dass er der Autor der »Todesfuge« ist, vielleicht noch, dass die uralte Claire Goll ihn beschuldigte, ein Plagiator ihres angebeteten Mannes Iwan Goll zu sein. Letzeres hat die Zeit längst widerlegt. Auch dadurch, dass die »Todesfuge« immer noch mit aller Wucht zu uns spricht. Ihre gewaltsam-zärtlichen Worte steigen aus dem Schmerzzentrum nicht nur des eigenen Lebens, sondern auch eines mit unvorstellbarer Kälte mordenden 20. Jahrhunderts herauf. Die Form der Fuge, urdeutsch anmutend seit Bach, umkreist bei Celan ein Mysterium des Nicht-Verstehen-Könnens: »Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts / wir trinken dich mittags der Tod ist ein Meister aus Deutschland / wir trinken dich abends und morgens wir trinken und trinken / der Tod ist ein Meister aus Deutschland sein Auge ist blau / er trifft dich mit bleiernder Kugel er trifft dich genau ...«
Wie kann man eine derartig symbolische Sprache - dichten heißt verdichten! - ins Medium des Films übersetzen? Wo Dichten doch durch alle Abbilder hindurch ins Urbildhafte durchdringt? Wo doch die Reisen des Dichters Paul Celan, in Sprache verwandelt, sämtlich Reisen im Kopf sind? Dies kann nur gelingen, wenn die filmische Annäherung einem ebenso strengen Maßstab der Form unterworfen ist, Bilder und Worte einen Rhythmus bilden: als Komposition wahrnehmbar werden.
Wer einen Dichter verstehen will, so wissen Kasten und Schütt, der muss den Bildern folgen, die dieser nicht los wird. Im »Schatten der Wundmale« ersteht dann auch dieses Porträt, das den äußerlichen Lebensweg Celans im Spiegel jener Worte zeigt, wie sie die Gedichte bezeugen. Erfahrenes ist dabei mehr als bloß das Erlebte. Geboren 1920 als Paul Anczel in Czernowitz, das damals zu Rumänien gehörte, die jüdischen Eltern wurden im KZ ermordet. Celan kam 1947 nach Wien, im Jahr darauf ging er nach Paris. Was er schrieb, waren sämtlich Beschwörungen des Grauens, dem einen Namen zu geben den Beruf des Dichters eigentlich übersteigt.
Wie auch Auschwitz die geschichtlichen Möglichkeiten eigentlich übersteigt - und eben doch stattgefunden hat. Celans Sprache versichert sich des Glaubens an die Bodenlosigkeit der Wortgefäße mittels einer geradezu religiösen Überanstrengung von Erwartung ans Wort - um diese dann doch zerbrechen zu lassen. Fassungslos stand der »deutsche Kulturträger« nach dem Krieg vor dem Faktum einer perfektionierten Menschenvernichtungsmaschine namens Auschwitz, dem Beitrag Deutschlands zur Re-Barbarisierung des Fortschritts. »Bei Wein und Verlorenheit, bei / beider Neige: / ich ritt durch den Schnee, hörst du, / ich ritt Gott in die Ferne - die Nähe, er sang, / es war / unser letzter Ritt über / die Menschen-Hürden.«
Celan versucht das Trauma der Vernichtung der Eltern stellvertretend für die europäischen Juden schreibend zu bannen - Gedichte sind Zaubersprüche! -, unterliegt dabei immer wieder. Psychische Krisen, Verdüsterungen aller Art, häufen sich. Kasten und Schütt sprechen mit dem Sohn Eric Celan über diese inneren Zerrissenheiten des Vaters, der das »Land der Mörder« nicht mehr ertrug und doch die deutsche Sprache bewohnte, ebenso wie die ihm ebenbürtige Dichterin Ingeborg Bachmann (die er in aller Unstetigkeit liebte), die Tochter eines Kärntner Nazis, die, wie er, an der »Wunde Deutschland« litt.
Wir reisen durch die Welt der Dichtung, aber auch der Lebensstationen und Archive. Der Celan-Forscher Bertrand Badiou wird befragt. Celans Verhältnis zu seinem ihm trotz allem verwandten Antipoden Heidegger kommt zur Sprache, ebenso wie ein unrühmliches Kapitel des westdeutschen Nachkriegsliteraturbetriebs. Die sich links gebenden Autoren der »Gruppe 47« verhöhnen Celans Dichtung als einen »Singsang wie in einer Synagoge«, mancher bemüht sogar geschmacklose Goebbels-Analogien, um seinen Vortragsstil zu denunzieren. Es war jene Zeit Ende der sechziger Jahre, als sich selbst Günter Grass für einen - beachtlichen - Gedichtband, den er veröffentlicht hatte, an den Pranger kommuneseliger Ideologie gestellt sah, denn: Nur unverbesserliche Reaktionäre schreiben Gedichte statt »engagierter Literatur«!
1970 in Paris kurz vor seinem fünfzigsten Geburtstag. Der Dichter Paul Celan, dem sich die Wunde Deutschland (seine »Angstlandschaft«) nicht schließen will, ertränkt sich in der Seine. Ihn konnten die Worte nicht retten - doch uns bleibt ihre magische Zeugniskraft.
Arte, 21.50 Uhr
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