Platzverweis für Jesus

Bahnhöfe in Nordrhein-Westfalen zensieren Ruhrtriennale-Plakat nach Bibelkreis-Protest

  • Marcus Meier
  • Lesedauer: 3 Min.
Nach einer Kleinstdemo zensierte das Management des Hauptbahnhofs Essen die Werbung für das wichtigste Kulturfestival des Ruhrgebiets. Andere Städte zogen am Dienstag nach.

Es ist eigentlich nur die Reproduktion des Fotos eines Bildes von Jesus. Exakter: Ein Werbe-Plakat, das unter anderem einen menschlichen Rücken zeigt, auf dem das Konterfei des Religionsgründers eintätowiert ist, der von Christen als Sohn zweier männlicher Wesen verehrt wird, nämlich von Gottvater und vom Heiligem Geist, der ihn, Jesus, der mit seinen beiden Vätern zudem identisch ist, zeugte. Es wirbt als Teil einer 16-Plakate umfassenden Serie für die Mitte August beginnende Ruhrtriennale, das bedeutendste Theater-, Kunst- und Musik-Festival des Ruhrgebiets.

Also: Hochkultur! Und doch reichte das Werbemittel aus, um im Jahr 2015 in einer deutschen Großstadt einen Eklat auszulösen, in dessen Folge das Bahnhofsmanagement des Essener Hauptbahnhofes sich genötigt wähnte, das Plakat entfernen zu lassen. Vom Sicherheitspersonal, wie die Lokalpresse nicht zu betonen vergaß.

Zu groß war offenbar der Druck, den vier besonders eifrige Katholiken des Bibelkreises Essen-Kray mit ihrem Protest erzeugten. Am Montagmittag nahmen sie an den vier Ecken des auf den Boden geklebten Plakats Stellung, »schützend«, wie der Reporter der »Westdeutschen Allgemeinen« kongenial vermerkte. In der Tat bildete die fromme Kleingruppe eine Art Cordon sanitaire um das Plakat, um so Passanten daran zu hindern, über das Foto der Jesus-Tätowierung zu stapfen.

Hunderte Bahnkunden mussten Umwege in Kauf nehmen, wenn sie zu ihren Zügen wollten. Die Bahn belohnte den Protest, indem sie die Forderungen der Protestierenden erfüllte.

»Es verletzt unsere religiösen Gefühle, wenn Passanten Jesus Christus tausendfach ins Gesicht treten«, ließ sich ein Teilnehmer zwecks Rechtfertigung der Aktion zitieren. »Selbst Moslems« seien entsetzt gewesen, argumentierte er und deutete schließlich an, dass die Aktion nicht würde stattgefunden haben, wenn das Plakat an der Wand platziert worden wäre. So viel Toleranz muss sein, auch wenn man einwenden mag, dass hartnäckige Treter so nicht davon abgehalten worden wären, dem Jesus-Bild ein Leid anzutun.

Das Plakat sei in den Boden eingelassen worden, um mehr Aufmerksamkeit zu erzielen, heißt es in einer Stellungnahme der Ruhrtriennale. Keineswegs habe man religiöse Gefühle verletzen wollen. Doch stellten die Festival-Macher auch klar: »Wir halten an dem Plakatmotiv weiterhin fest und haben nicht vor, das Plakat zurückzuziehen«. Denn die Kunst sei frei.

Bei der Deutschen Bahn AG sieht man das anders. Auch andere nordrhein-westfälische Hauptbahnhöfe, darunter Dortmund, Bochum, Duisburg und Köln, folgten gestern dem Essener Beispiel. »Inzwischen wurde das Plakat in allen Städten entfernt«, sagte ein Bahn-Sprecher gegenüber »nd«. Als Grund nannte er, man habe Proteste wie die »spontane Zusammenkunft« in Essen vermeiden wollen. Das Plakat wirbt für das Musiktheaterstück »Accattone«, dessen gleichnamige Hauptfigur laut Programmheft ein subproletarischer »Anti-Messias« ist, der bürgerliche Wert- und Moralvorstellungen ignoriert. Es verbindet einen Text Pier Paolo Pasolinis mit der Musik Johann Sebastian Bachs.

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