Leistungsgesellschaft in Gefahr

Abiturnoten sind in den Bundesländern sehr unterschiedlich: Spiegel-Bericht sorgt für Aufregung

  • Elsa Koester
  • Lesedauer: 3 Min.
Wo kommen wir denn da hin? Einige Bundesländer schneiden im Abitur besser ab als andere, und die begehrte Eins wird immer öfter verteilt. Für Vereinheitlichung wollen jetzt die Kultusminister sorgen.

Die Kultusministerkonferenz (KMK) will sich an diesem Donnerstag und Freitag in Berlin mit einer Vereinheitlichung von Abituraufgaben zwischen den Bundesländern befassen. In der Leistungsgesellschaft Deutschland wird das natürlich gerne als Grund genommen, das Lieblingsthema Bildung auf's Korn zu nehmen. Gemischt mit dem Zweitlieblingsthema deutscher Stammtische: Dem ollen Föderalismus.

Stein des Anstoßes: Ungerechtigkeit im deutschen Bildungssystem. Nicht etwa die Bourdieusche Ungerechtigkeit durch Unterschiede der sozialen Herklunft, sondern die Ungleichheit zwischen Abiturnoten in den verschiedenen Bundesländern. Eine solche stellte nämlich jüngst der Spiegel fest. Das Magazin wertete die Daten des Statistischen Bundesamtes zu den Abiturnoten in den Jahren 2006 bis 2013 aus und kam zu dem Schluss, dass sowohl die Einser-Abiturienten, als auch die Durchfallquote in einigen Bundesländern stark vom Bundesdurchschnitt abweicht. So schlossen in Thüringen 2013 rund 37,8 Prozent aller Kandidaten mit einem Einserschnitt ab, in Niedersachsen waren es gerade einmal 15,6 Prozent. Geht man nun vernünftigerweise davon aus, dass die Schüler (oder die Lehrer) in Thüringen nicht wesentlich klüger sind als diejenigen in Niedersachsen, legen diese Zahlen den Schluss nahe, dass die den Noten zugrunde liegenden Leistung weit auseinander klaffen.

Und das geht ja nun gar nicht an, findet zum Beispiel der Deutsche Philologenverband. Dessen Vorsitzender, Heinz-Peter Meidinger, erklärte sich den Spiegel-Bericht gegenüber der Deutschen Presse-Agentur mit politischen Vorgaben. Immer mehr Schulen würden versuchen, durch gute Abiturnoten gut da zu stehen; »und die Landesregierung steht gut da, weil ihre Abiturienten generell so gute Ergebnisse erzielen, was ein Beweis für die erfolgreiche Qualität der betriebenen Bildungspolitik ist.«, sagte er am Mittwoch. Thüringens Bildungsministerin Birgit Klaubert (LINKE) fand diesen Verdacht jedoch gar nicht lustig. »Das Thüringer Schulsystem setzt auf Leistung - und belohnt sie auch.«, stellte sie am Mittwoch gegenüber der Deutschen Presse-Agentur klar.

Für noch größere Aufregung sorgen die Zahlen über immer bessere Abiturdurchschnitte. Denn die Abiturnoten verbesserten sich nicht nur in Thüringen, sondern überall in Deutschland. So war der Einser-Anteil in Berlin 2013 fast doppelt so hoch wie 2006. Meidinger sieht darin eine zunehmende Entwertung der Studienberechtigung: »Generell muss tatsächlich bezweifelt werden, ob heute noch in vielen Fällen hinter der durch das Abitur verliehenen Studienberechtigung auch eine Studienbefähigung steht«, fürchtete Meidinger, und fügte hinzu: »Die eigentlich Gelackmeierten der Bestnoten-Inflation sind die Spitzenschüler, weil deren Spitzenleistung in der Einser-Schwemme untergeht.«

Da haben wir's: Wenn Leistung in unserem Land nicht mehr zählt, wo kommen wir denn da hin? Die Kultusminister ihrerseits wollen sich nun erst einmal um den Aufbau eines einheitlichen »Aufgabenpools« für das Abitur ab 2017 kümmern, um Vergleichbarkeit zu erreichen. Denn die Abiturnoten spielen für die Chancengleichheit in Deutschland insofern eine große Rolle, als dass sie durch die zunehmende Studienplatzrestriktionen einen zentralen Schlüssel für die weiterführende Bildung darstellen. Da könnte man aber ja auch mal über eine Abschaffung des Numerus Clausus nachdenken, zum Beispiel.

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