Die Leiden des Brian

Im Kino: »Love & Mercy« von Bill Pohlad

  • Tobias Riegel
  • Lesedauer: 4 Min.

Bill Pohlads »Love & Mercy« ist kein Film über die Beach Boys. Es werden keine Band-Etappen abgehakt, kein mühsamer oder kometenhafter Aufstieg wird verfilmt und es dudeln auch nicht chronologisch die jeweiligen Songs zur dargestellten Zeit. Selbst die historischen Bilder kalifornischer 60er-Jahre-Surfer, auf deren Einsatz im Film-Intro man hätte wetten wollen, werden erst etwas später eingestreut. Am Anfang stehen stattdessen eine psychotische Soundcollage, die eine soghafte Kamerafahrt in eine menschliche Ohrmuschel orchestriert (Musik: Atticus Ross) - und eine Frage: »Manchmal habe ich Angst, mir vorzustellen, wo all diese Musik herkommt. Was, wenn ich es verliere, wenn es nie zurückkommt? Was würde ich dann nur machen?« Das Bild mit dem Ohr ist in einer Musikerbiografie alles andere als originell. Es macht aber klar, worum es Regisseur Pohlad vor allem geht: Um das Innenleben und die Leiden des Brian Wilson, des über lange Jahre psychisch schwer kranken kreativen Kopfes der Beach Boys.

Der etwa 20-jährige Wilson stellt die bange Frage nach dem Ursprung seiner phänomenalen, sein Umfeld oft überfordernden Kreativität. Paul Dano spielt jenen Brian Wilson der 60er Jahre als pummeliges, vom brutalen Vater halb taub geprügeltes Genie, dem die revolutionären Pop-Ideen nicht nur zufliegen - sie drohen ihn fast zu ertränken. Denn durch seinen Kopf geistern nicht nur gewagte und damals noch unerhörte Tonfolgen und Orchestrierungen - er wird auch von gruseligen inneren Stimmen heimgesucht.

Der vortreffliche Dano teilt sich den Charakter mit John Cusack, der den von inneren Dämonen gejagten Künstler 20 Jahre später darstellt - als mit Psychopharmaka vollgepumptes Wrack, als entmündigtes Häufchen Elend, das unter der Kontrolle des manipulativen Quacksalbers Eugene Landy steht, der von Paul Giamatti unsympathisch bis fast ins Cartoonhafte dargestellt wird. Cusack spielt ordentlich, muss im Vergleich mit Dano aber verlieren, da seine Rolle in einer erheblich weniger spektakulären Zeit angesiedelt ist. Der Gegensatz Dano/Cusack kreiert dennoch eine interessante Grundspannung.

Zwischen den beiden zeitlichen und emotionalen Polen schneidet Pohlad hin und her - und spart damit (für Wilson schmeichelhaft) die krasseste Phase des sich in den 70er Jahren zum wahren LSD-Monster entwickelnden Musikers aus. Und so sieht man bei Pohlad vor allem Brian Wilson leiden - erfährt aber kaum etwas über die Befindlichkeiten seines Umfelds. Pohlad hat also einen einerseits erholsam ungewöhnlichen, einen andererseits aber über weite Strecken ziemlich braven und seiner Hauptfigur gegenüber viel zu respektvollen »Musikfilm« geschaffen.

Dabei macht Dano/Wilson vor, wie man »Love & Mercy« noch berührender hätte gestalten können: Bei der Produktion der LP »Pet Sounds« lässt Wilson die irritierten Musiker teils in zwei Tonarten gleichzeitig spielen, freut sich diebisch über den einen oder anderen »falschen« Ton. »Fehler machen Musik erst perfekt«, sagt er dann. Der »Guardian« bedauert treffend, dass nicht auch Pohlad mehr nach diesem Prinzip gearbeitet hat. Sein Film ist zu fehlerfrei.

Die »Pet Sound«-Produktion liefert die mit Abstand schönsten Szenen des Films, für die allein sich der Kinobesuch lohnt: der quälende, zahllose Male wiederholte Aufnahmeprozess von immer gleichen Parts, die stille Beharrlichkeit, mit der Wilson die bei allen Beteiligten vorhandenen, massiven Zweifel besiegt. Egal, ob man Beach-Boys-Fan ist oder nicht: Diese LP war 1966 eine Revolution, sie erschien nicht nur als temporäre Pop-Referenz. Sie erweckte den Eindruck, den Pop-Thron für lange Zeit beanspruchen zu können. Dass sie nur ein Jahr später vom magischen »Sgt. Pepper« der Beatles wieder gestürzt wurde, war wohl ein Mosaikstein im Krankheitsbild Brian Wilsons. Dennoch ist »Pet Sounds« bis heute wichtiger Teil des US-amerikanischen Pop-Kanons, Pohlad und Dano setzen diesem musikalischen Denkmal nun ein filmisches.

Gleich zu Beginn begegnet dem älteren Wilson sein rettender Engel: die Autoverkäuferin und seine spätere Ehefrau Melinda Ledbetter (Elizabeth Banks). Die Geschichte, wie sie Brian aus den Fängen des Hochstaplers Landy befreit, wird als teilweise rührendes, teilweise kitschiges Märchen erzählt. Manchmal wünscht man sich hier mehr Distanz und fragt sich, ob es nicht ein Fehler war, Wilson und Ledbetter als »Berater« an dem Film zu beteiligen.

Die restlichen Beach Boys erscheinen als ziemlich willenlose Erfüllungsgehilfen Wilsons und bleiben total im Hintergrund. Einzig Cousin und Sänger Mike Love mäkelt und ätzt an jeder Note und jedem kryptischen Textelement von »Pet Sounds« herum. Seine Zweifel gipfeln in der ahnungslosen Kritik: »Selbst die fröhlichen Songs klingen traurig!« Damals wusste er noch nicht, dass er genau damit Brian Wilsons Genius auf den Punkt brachte.

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