Was war denn nun mit der DDR?

Gregor Gysi und Friedrich Schorlemmer auf Reisen zu einer Verschwundenen

  • Brigitte Zimmermann
  • Lesedauer: 5 Min.

Der Ruf der DDR ist nicht einmal durchwachsen, er ist fatal. Weil leider zu viel an ihr fatal genannt werden muss. Aber auch, weil das DDR-Bild bis zum heutigen Tag entscheidend bestimmt wird von Leuten, die real wenig mit ihr zu tun hatten und die, noch schlimmer, jegliche Geschichte nur als Durchlauferhitzer für die Gegenwart ansehen. In welcher sie sich nach dem ruhmlosen Ende fast aller sozialistischen Staatlichkeit als Triumphatoren feiern. Wenn sich die reißerische Siegermentalität in der Öffentlichkeit verbindet mit den harschen Erfahrungen derer, die wirklich alle Gründe haben, der DDR keine Träne nachzuweinen, scheint die Geschichte ihr Urteil über die vor 25 Jahren Verschwundene endgültig gesprochen zu haben.

In Ernstnahme des lässigen Prinzips, dass auch ein schlechter Ruf verpflichtet, haben sich Gregor Gysi und Friedrich Schorlemmer der von ihnen wahrgenommenen Realitäten der DDR, den Mythen um diese herum, ihrer zukunftsfähigen Elemente und ihrer für alle Zeit abstoßenden Seiten angenommen. Im August des vergangenen Jahres dazu befragt vom ausgewiesen guten Interviewer Hans-Dieter Schütt, der hier mitunter ein wenig unsympathisch werden kann. Dazu später.

Herausgekommen ist ein gedankentiefes, originelles, auch sprachlich beeindruckendes Buch, das den Rahmen der winzigen DDR oft verlässt und ins Weite, ins Menschheitliche drängt. Am Beispiel nur zweier Biografien wird wohl vielen an der DDR aktiv Beteiligten schmerzhaft klar, wie oft und wie zeitig sich die Verantwortlichen in SED und Staat ins meist hohe eigene Wort fielen. Der vielfach erhofften Aufbruchsgesellschaft, die den Schwachen Raum gab, die soziale Schranken einriss, beispielsweise das Bildungsprivileg beseitigte, ging so schleichend der Transmitter von Wunsch und Wirklichkeit verloren. Bis schließlich eigene politische Vorstellungen fast unkenntlich waren und Wirklichkeit einfach verweigert wurde. Aber die knapp 300 Seiten erzählen auch von den ewigen Versuchen, hohe Ideen und das eigene kleine Leben halbwegs in Kongruenz zu bringen, was selten oder gar nicht gelingt. Da stehen DDR-Bürger nicht allein.

Das vielleicht überraschende Fazit: Beide Protagonisten, Funktionärssohn und SED-Mitglied Gregor Gysi, als Anwalt Verteidiger von Bürgerrechtlern, und Friedrich Schorlemmer, früh ausgegrenzter, drangsalierter und fortwährend beobachteter Christ, halten ihr Leben in der DDR für »glückendes Leben«, wie Schorlemmer es nennt. Sie wollen Vieles davon nicht noch einmal haben, aber bei allen Konflikten, höchst unguten Erfahrungen und eingeräumten Versäumnissen stehen beide zur erarbeiteten Sinnhaftigkeit dessen, was sie taten oder unterließen. Es koste, sagen sie, in jeder Gesellschaft Kraft, in der heutigen des Konsumismus erst recht, im einzelnen Leben auf Wesentliches zu kommen und dem allgegenwärtigen Bequemlichkeits- und Anpassungsdrang Eigenes entgegenzusetzen. Allein das garantierte Recht, dieses Ureigene nunmehr angehen zu können, bringe es noch nicht hervor.

Im Schlussteil des Buches bekennt Schorlemmer, die heutige Entpolitisierung bereite ihm unterdessen mehr Sorge als die Ideologisierung in der DDR. Gysi zeigt einiges Verständnis für die Fluchten ins Egoistische, für das kühle Kosten-Nutzen-Denken, das viele junge Leute an den Tag legen. Er nennt es »Entwurfsfaulheit«, erinnert aber daran, dass die Idee einer besseren Gesellschaft nicht von diesen jungen Leuten vermasselt wurde. Das SED-Erbe wirke weit. Und dass manche Eltern lange Erich Honecker für den Besten hielten und kurz danach Helmut Kohl, sei auch keine Animation, sich in das mühselige politische Engagement zu begeben. Schorlemmer kommentiert trocken, man könne sich nicht ein Leben lang auf seine Eltern rausreden. Wohl wahr. Aber warum die Entpolitisierung auch im Westen fortschreitet, erklärt sich so ohnehin kaum.

Dass dieses Gespräch nicht zu knapp Streitbares anbietet, ist verständlich und unvermeidbar. Es sind viele Millionen weitere Erzählungen über die DDR möglich, die sie in wieder anderem Licht erscheinen lassen. Dieser Erkenntnis Raum zu verschaffen, gehört zu den unbedingten Vorzügen des Bandes. Man muss Großbescheidwissern, für die die DDR mit den drei Begriffen Stasi, Mauer, marode Plattenbauten abgedeckt ist, immer wieder mit den widersprüchlichen Tatsachen und der individuellen Sicht darauf kommen, um vielleicht doch zur Sachlichkeit zu finden.

An dieser Stelle ein Wort zur Rolle des Interviewers Hans-Dieter Schütt. Er sagt manchmal »wir«, da meint er offenkundig das Sekretariat des FDJ-Zentralrats, dem er als Chefredakteur von »Junge Welt« angehörte. Das können nur Insider verstehen. Einmal sagt er auch »ich«, als er über seine Nachwende-Entdeckung spricht, sich selbst zum Feind gehabt zu haben. Aber oft befragt er besonders Gysi in einem leicht apodiktischen Ton, als hätte er selbst mit der ganzen Sache nie zu tun gehabt. Das passt nicht zusammen. Zumal er Schorlemmer ein paar steile Thesen ohne Nachfragen durchgehen lässt, die sich beim Lesen aufdrängen.

So meint Schorlemmer, die SED-Oberen hätten schon 1976 gewusst, dass sie keine Chance mehr haben. Da wäre die Frage nach einem Beleg hilfreich gewesen. Denn beim Nachdenken über diese Behauptung kommt man nur auf ihre Haltlosigkeit. Damals lag die weltweite diplomatische Anerkennung der DDR erst kurz zurück, die der Westen, Stichwort Hallstein-Doktrin, sehr lange zu verhindern suchte. Die Reputation der DDR war seinerzeit zu gut, durchaus nicht auf der Basis Potemkinscher Dörfer, sondern von Leistung. Die Altvorderen der SED haben in der diplomatischen Anerkennung der DDR wohl mehr deren Verankerung in der Ewigkeit gesehen als den eigenen feststehenden Untergang. Die selbstzufriedene Gedankenlosigkeit ihres weiteren Agierens lässt keinen anderen Schluss zu.

Dass das unbesprochen bleibt, weist auf eine wirkliche Fehlstelle des Buches hin. Die Geschichte der DDR ist ohne die Geschichte der Bundesrepublik nicht denkbar, umgekehrt dito. Dieses komplizierte Geflecht spielt aber so gut wie keine Rolle, wobei es nicht um die Verlagerung inneren DDR-Versagens nach außen gehen kann. Aber selbst wenn gezielte Störmaßnahmen der wirtschaftlich weitaus stärkeren BRD in den ersten Jahrzehnten der DDR außen vor bleiben: Die Versuche, innere Prozesse wechselseitig zu be- oder entschleunigen, Personen und Persönlichkeiten auf- oder abzuwerten und Einfluss auf die politische Agenda der anderen Seite zu gewinnen, hatten erhebliche Wirkung. Wegen der Vernachlässigung dieses Kampffelds wird in dem sehr lesenswerten Buch meist eine DDR besprochen, wie sie das SED-Politbüro gerne gehabt hätte: In Käfighaltung, ohne bösartige oder sperrige Einflüsse.

Gregor Gysi, Friedrich Schorlemmer: Was wird bleiben. Ein Gespräch über Herkunft und Zukunft. Aufbau Verlag. 294 S., 19,95 Euro. Am 13. Juni, 15 Uhr, diskutieren Schorlemmer und Gysi bei »nd live« am Franz-Mehring-Platz 1, Berlin-Friedrichshain

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