»Hauptauslöser ist die Arbeitslosigkeit«

Werner Just fordert einen Rechtsanspruch auf kostenlose Schuldnerberatung für alle

  • Lesedauer: 4 Min.
Werner Just ist Fachbereichsleiter beim Sozialdienst Katholischer Männer Köln und Vertreter der 
Caritas in der Arbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung der Verbände, die noch bis zum 19. Mai in einer bundesweiten Aktionswoche auf das Überschuldungsproblem aufmerksam macht. Über steigenden Beratungsbedarf, fehlende gesetzliche Ansprüche und lange Wartelisten sprach mit ihm Grit Gernhardt.

Kommen derzeit mehr Menschen zu den Schuldnerberatungen?
Mit Zahlen ist es schwierig, es gibt keine bundesweiten wissenschaftlichen Erhebungen. Wir haben aber seit Jahren eine anhaltend hohe Nachfrage nach Schuldnerberatung - und die ist viel größer als die Kapazitäten.

Hinzu kommen viele, die gar nicht erst eine Beratung aufsuchen.
Ja. Es gab mal eine Erhebung im Zusammenhang mit der Armuts- und Reichtumsberichterstattung der Bundesregierung. Demnach hat nur jeder 15. Überschuldete die Chance, Schuldnerberatung bei einem öffentlichen oder freien Träger zu erhalten.

Die Diakonie fordert einen Rechtsanspruch auf Schuldnerberatung.
Das fordern alle Verbände, die in der AG SBV (Arbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung der Verbände, d. Red.) zusammengeschlossen sind. Wir brauchen eine geänderte Rechtssituation, um einen Rechtsanspruch durchsetzen zu können.

Wie sollte der funktionieren?
Wir wollen, dass die Beratung kostenlos ist. Wir haben es mit Leuten zu tun, die in der Regel sowieso nicht über ein hohes Einkommen verfügen. Und wenn sie dann noch überschuldet sind und alles, was pfändbar ist, weggepfändet wird, bleibt ihnen nur das Geld zum Leben.

Wer lässt sich beraten?
Alle Altersgruppen sind vertreten, am stärksten die der 35- bis 50-Jährigen. Wir beobachten aber eine Zunahme in der Altersgruppe 60+, und bei Jüngeren ist Überschuldung häufiger anzutreffen als vor zehn Jahren.

Das Statistische Bundesamt meldete, dass Aufstocker oft überschuldet seien. Können Sie das bestätigen?
Wir haben keine direkte Zunahme beobachtet. Aber der Hauptteil unseres Klientels steckt im Leistungsbezug SGB II. Aufstocker sind genau der Personenkreis, der in Gefahr ist, sich zu überschulden. Dann wird es schwer, wieder in eine normale Verschuldungssituation zu kommen. Diese ist kein Problem, so lange man aus dem Einkommen die Raten bezahlen kann.

Kommen die Menschen erst zur Beratung, wenn es zu spät ist?
Meist bedarf es äußeren Druckes. Wenn sich der Gerichtsvollzieher anmeldet oder das Konto gepfändet wurde. Die Beratungsstellen haben aber lange Wartelisten. Da bekommt jemand vielleicht drei Monate später einen Termin, nimmt den aber nicht wahr, weil das Problem sich inzwischen gelöst hat.

Ein Überschuldungsproblem löst sich doch nicht einfach so?
Nein. Es kommt aber darauf an, wie man damit umgeht. Wer weiß, dass sein Einkommen unter der Pfändungsfreigrenze liegt, der ignoriert die Mahnungen vielleicht. Während ein anderer ängstlich reagiert.

Wie viel Prozent der Fälle enden mit einer Privatinsolvenz?
Etwa 80 Prozent. Zunächst muss man einen außergerichtlichen Einigungsversuch mit den Gläubigern anstreben. Wenn der erfolgreich ist, braucht man keine Insolvenz. Kann man aber den Gläubigern nichts anbieten, etwa als SGB-II-Bezieher, dann machen wir einen Nullplan. Der wird von den Gläubigern meist nicht akzeptiert. Nach abgeschlossenem Insolvenzverfahren bekommen die Gläubiger zwar auch nichts, aber dem Schuldner wird am Ende die Schuld erlassen.

Die Wohnungsunternehmen melden, es gebe weniger Mietschuldner. Das geht schlecht mit steigenden Mieten zusammen. Kommen Menschen so in Überschuldung?
Steigende Miete als alleiniger Auslöser kommt selten vor. In der Regel sind es Kreditverbindlichkeiten. Hauptauslöser ist aber die Arbeitslosigkeit.

Überschulden sich durch den Mindestlohn weniger Menschen?
Dazu müsste der Mindestlohn deutlich höher sein als 8,50 Euro.

Was soll die laufende Aktionswoche der Schuldnerberatung bringen?
Die AG SBV rückt damit einmal im Jahr ins Bewusstsein, dass es in der Bundesrepublik Millionen Menschen gibt, die an einem Überschuldungsproblem leiden, und dass die Hilfsmöglichkeiten nicht so ausgestattet sind, dass wir allen helfen können. 2015 steht der Rechtsanspruch auf Schuldnerberatung für alle im Mittelpunkt. Es gibt Kommunen, die schließen über das SGB II finanzierte Schuldnerberatung etwa für Erwerbstätige aus. Je mehr Leute aber ausgeschlossen sind, desto größer ist die Gefahr, dass die in die Hände krimineller Schuldenregulierer fallen.

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