Sarrazin, D-Mark und die blühenden Landschaften

Der Treuhand-Sprecher, Lätta in der Kaufhalle, Besser-Wessis und Jammer-Ossis: Tom Strohschneider über eine ganz spezielle Wochenend-Ausgabe

  • Lesedauer: 3 Min.
Sarrazin ist nicht nur für seine gruseligen Theorien bekannt, er war auch maßgeblich an der Einführung der D-Mark in der DDR beteiligt. Die ostdeutsche Wirtschaft brach daraufhin zusammen. Wir haben zurückgeblickt.

Dieser Text muss mit Thilo Sarrazin beginnen. Der Mann ist nicht nur durch Beleidigungen von Erwerbslosen oder gruselige Bevölkerungstheorien hervorgetreten. Er war auch einmal Referatsleiter im Finanzministerium, dem im Westen. Vier Tage, so will es die Erzählung, hat er gebraucht, einen 14-seitigen Vermerk zu schreiben, in dem Eckpunkte formuliert wurden für eines der größten politischen Manöver der deutschen Geschichte: die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion. In der DDR wurde am 1. Juli 1990 die D-Mark eingeführt. Die ostdeutsche Wirtschaft brach weitgehend zusammen. Die Folgen sind bis heute zu besichtigen.

Als Sarrazin einmal gefragt wurde, ob ihm klar gewesen sei, was sein Vermerk praktisch auslösen würde, antwortete der deutsche Beamte in ihm: Es seien sein »Ehrgeiz und meine Pflicht, auch Kosten und Risiken aufzuzeigen. Aber ich stand zu 100 Prozent hinter dem Kurs des Hauses und der Bundesregierung, die Währungsunion anzubieten.« Eine Zahl aus Sarrazins Prognose lautete: Allein 35 bis 40 Prozent der Industriebeschäftigten würden ihre Arbeit verlieren. »Jeder wusste, dass wir ein Wagnis eingingen«, so sagte es Sarrazin im Rückblick.

Nur sagte es nicht jeder. Helmut Kohl, dem der Mantel der Geschichte gewaltig über den Kanzlerleib spannte, meldete sich an jenem 1. Juli 1990 per Fernsehrede und versprach: »Es wird niemandem schlechter gehen als zuvor - dafür vielen besser.« Auch das Wort von den »blühenden Landschaften« fiel. Spätere Berechnungen zeigten, dass zwischen 1989 und 1991 mehr als 2,5 Millionen Menschen in Ostdeutschland arbeitslos wurden.

Dass es Absahner, Profiteure, politische und ökonomische Gewinner dieses Bruchs gab, stimmt dabei genauso, wie der 1. Juli 1990 nicht auf einen Ausverkauf der DDR reduziert werden kann. Dort hatten, das zeigte sich spätestens seit Herbst 1989, »die da unten« nicht mehr gewollt - und »die da oben« konnten nicht mehr. Eine Mehrheit im Osten hatte sich gegen die Möglichkeit entschieden, einen anderen Weg einzuschlagen. Bei der Volkskammerwahl im März hatten über 93 Prozent ihre Stimme abgegeben - mehr Beteiligung hatte es zuvor im Westen und auch danach in der Bundesrepublik nicht gegeben.

Was bleibt? Wir haben mit dem früheren Treuhand-Sprecher Wolf Schöde gesprochen, wir sind der Frage nachgegangen, wie pleite die DDR wirklich war und welche Spuren die deutsch-deutsche Währungsunion in Osteuropa hinterließ. Und wir haben uns daran erinnert, was der 1. Juli 1990 für das alte »Neue Deutschland« bedeutete.

Außer Fotos aus einem Dachbodenfund, die uns noch einmal in die Welt von Kaufhallen und Konsum eintauchen lassen, werden Sie in dieser Sonderausgabe kaum Fotos finden. Stattdessen gibt es jede Menge Grafiken, die davon erzählen, was Ost und West immer noch trennt - und was sich in Ost und West seit 1990 verändert hat.

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