Nudisten, Götter und Ignoranten

Bizarrer Streit in Malaysia: Minister macht Touristen für Erdbeben verantwortlich

  • Michael Lenz
  • Lesedauer: 4 Min.
Ein Erdbeben sucht Malaysia heim. Der Tourismusminister der Region machte junge Rucksacktouristen verantwortlich, die sich auf dem heiligen Berg Kinabalu für ein Selfie auszogen.

War das eine Aufregung. Zehn junge Rucksacktouristen haben den über 4000 Meter hohen Berg Kinabalu im malaysischen Borneostaat Sabah bestiegen. Kurz vor dem Gipfel zogen sie vor Begeisterung über die gelungene Kletterei auf einem felsigen Plateau mit Blick auf weiße Wolken unter ihnen und das blaue Südchinesische Meer in der Ferne für ein nacktes Selfie blank - trotz der Warnungen ihres einheimischen Bergführers.

Natürlich landeten die Bilder umgehend im Netz. Und sorgten für Empörung - unter den Menschen in den Dörfern an den Hängen des Berg Kinabalu, in Sabah, im Rest von Malaysia. Aber nicht sofort, sondern erst fünf Tage nach dem nudistischen Gipfelsturm. Da nämlich erschütterte ein Erdbeben der Stärke 6,0 den höchsten Berg Malaysias. 18 Bergsteiger fanden den Tod.

Das wiederum brachte Sabahs Tourismusminister Masidi Manjun auf den Plan, der durch das Beben den guten Ruf Sabahs als Paradies für Taucher, Bergsteiger und Dschungelwanderer gefährdet sah. Also erklärte der Mann flugs die nackten Touristen zur Ursache der seismischen Urgewalt. Sie hätten mit ihrer Nacktheit die Götter des Kinabalu erzürnt, verkündete der Politiker allen Ernstes.

Umgehend erschütterte ein Medienbeben Malaysia. Die Polizei ermittelte, machte zwei Kanadier, einen Holländer und eine Engländerin dingfest, stellte sie wegen »obszöner Handlungen« vor Gericht. Das Urteil: drei Tage Haft, abgebüßt durch die Untersuchungshaft und umgerechnet 1180 Euro Geldstrafe. Die anderen sechs Klettermaxe - darunter soll auch ein Deutscher sein - sind der Polizei bisher entkommen.

Ende gut, alles gut? Nicht ganz. Der von dem Tourismusminister kühn hergestellte Zusammenhang zwischen Erdbeben und Nacktfotos mag absurd, die an Hysterie grenzende Reaktion der malaysischen Medienöffentlichkeit überzogen gewesen sein. Aber der Fall wirft auch ein grelles Schlaglicht auf etwas, was jeden Tag in Asien (und wohl auch anderswo auf der Welt) passiert: manche Touristen haben kein Verständnis für die Kulturen, die Religionen, die Sitten und Gebräuche ihrer Gastländer.

Im kambodschanischen Angkor werden Wände der antiken Tempel mit Graffiti der Art »Ich war hier« verunstaltet. Auf Bali flanieren Touristen in Bikini und Badehose durch Geschäfte und wundern sich, dass Einheimische sich aufregen. Kopfschütteln ruft in den Bars von Phuket oder Koh Samui die Verärgerung von Thais über Buddhatätowierungen auf Beinen, Brüsten oder über dem Hintern von Urlaubern hervor.

Gerne mokieren sich westliche Zeitungskommentatoren auch über »Aberglauben« in Asien. Geister und Dämonen aber sind für Asiaten aller Religionen eine Realität.

In Thailand, Myanmar oder Sri Lanka zum Beispiel werden wichtige politische Entscheidungen nie ohne den Rat von Wahrsagern getroffen. Der regierende Sultan von Jogjakarta in Zentraljava ist nicht nur Oberhaupt des Islam, sondern auch der Hüter der Götter des gefährlichen Vulkans Merapi, an dessen Fuß die indonesische Millionenstadt liegt.

Kurvenreich windet sich die gut ausgebaute Straße von Sabahs Hauptstadt Kota Kinabalu hinauf in die Berge Borneos. Die immer neuen Perspektiven auf den mächtigen Berg Kinabalu sind atemberaubend. Wie die vielen Hinweisschilder auf Kirchen entlang der Strecke verraten, sind die meisten Kadazan-Dusun Katholiken.

Das hinderte sie nach dem Erdbeben nicht daran, zur Besänftigung der Götter an Ritualen von Priesterinnen der alten Stammesreligion der Kadazan-Dusun teilzunehmen. Die Priesterinnen wussten zu berichten, dass sich die Götter nicht nur von Nudisten, sondern auch von Wildpinklern und der unter Einheimischen beliebten Sitte, die Asche Verstorbener auf den Hängen des Kinabalu zu verstreuen, gestört fühlten.

So war es der Sache der nackten Bergsteiger nicht dienlich, dass ein Emil Kaminski alias Monkeytime auf Facebook und Youtube die Kadazan-Dusun als Idioten und den Minister als »fucking« dumm abkanzelte. Die Berggötter und Rituale zu ihrer Beruhigung entzweite auch Malaysias Wissenschaftswelt. Erdbeben seien schlicht und ergreifend »seismische Ereignisse«, fanden viele Akademiker. Professor Zakri Abdul Hamid, wissenschaftlicher Chefberater der Regierung Malaysias, hingegen forderte die Neutralität der Wissenschaft und mahnte: »Wenn der Berg heilig ist, dann müssen wir das respektieren.«

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