Werbung

Bus, Bahn und Rad fahren

Infrastrukturministerin legte Eckpunkte für Mobilitätsstrategie 2030 vor

Das Land Brandenburg möchte den Vorrang des Öffentlichen Personennahverkehrs vor dem motorisierten Individualverkehr.

Busfahrer Sascha Lietzke ärgert sich. Er passiert die Haltestelle der Linie 941 am S-Bahnhof Birkenstein (Märkisch-Oderland). Dort wartet niemand. Das wurmt den 48-Jährigen. Denn 2012 wurde der 518 000 Euro teure Umbau des Bahnhofsvorplatzes abgeschlossen. Es entstanden dabei auch 45 kostenfreie Pkw-Parkplätze. Anstatt das Geld für diese Park&Ride-Stellflächen auszugeben, hätte der Staat die Mittel besser in den Busverkehr gesteckt, findet Lietzke. Wer zur Arbeit nach Berlin pendelt, benötigt keinen extra Fahrschein. Der Bustarif ist im ABC-Monatsticket schon enthalten. Ob viele Leute den Bus dennoch nicht nehmen, weil er zu selten fährt oder weil sie zu bequem sind und das Parken am Bahnhof nichts kostet? An dieser Frage scheiden sich die Geister.

Auch über Taktverdichtung und P&R wird neu nachgedacht, wenn das Land Brandenburg jetzt eine Mobilitätsstrategie 2030 ausgearbeitet. Infrastrukturministerin Kathrin Schneider (für SPD) möchte, dass mehr Menschen Bus und Bahn fahren oder aufs Fahrrad steigen, kurze Strecken auch zu Fuß zurücklegen. »Wir brauchen den Vorrang des Öffentlichen Personennahverkehrs vor dem motorisierten Individualverkehr«, lautet einer von 15 Eckpunkten für die Mobilitätsstrategie 2030. Am Mittwoch legte die Ministerin die Eckpunkte vor, an diesem Donnerstag werden sie im Infrastrukturausschuss des Landtags besprochen. Unter Beteiligung von Fachleuten und Bürgern soll die Strategie erarbeitet werden und bis Ende 2016 fertig sein.

In dünn besiedelten Gegenden stehe die Frage, ob klassische Lösungen noch wirtschaftlich sind, heißt es. Rufbusse, Bürgerbusse und Kombibusse, die neben Personen auch Waren befördern, gibt es schon. Haben sie sich bewährt? Können sie verstärkt eingesetzt werden? Das soll im Rahmen der Arbeit an der Mobilitätsstrategie geklärt werden. »Es wird keine Region abgehängt«, beteuert die Ministerin.

Dass Bus und Bahn einen Anteil am Verkehr von 30 bis 40 Prozent erreichen wie in Berlin, das werde Brandenburg nie schaffen, meint Schneider. Über 50 Prozent werden die Autofahrer immer haben, glaubt sie eingedenk der Struktur des Flächenlandes. Doch es lässt sich etwas machen. So sollen Lückenschlüsse und Erweiterungen des Netzes der Berliner S-Bahn geprüft werden. Auf eine Verlängerung der S 5 von Berlin-Spandau nach Falkensee hoffte die mit 43 310 Einwohnern sechstgrößte Stadt Brandenburgs bislang vergeblich. Die Ziele seiner Verkehrspolitik fasste Brandenburg erstmals 1995 in einem Konzept zusammen, das 2002 neu gefasst wurde. Doch seitdem hat sich viel verändert. So hatte die EU-Osterweiterung Auswirkungen auf den Transitverkehr auf Brandenburgs Autobahnen. Auch gab es bis 2000 einen erheblichen Zuzug aus Berlin. In der Spitze siedelten damals 20 000 Menschen im Jahr in den Speckgürtel über. Bis 2010 ebbte diese Welle ab auf nur noch 4000 Personen. Inzwischen sind es wieder mehr. Dazu kommen die Stichworte Klimawandel und Energiewende.

Das alles erfordert ein neues Verkehrskonzept. Die jetzt angestrebte Mobilitätsstrategie greift weiter aus. Denn unter Mobilität versteht Ministerin Schneider mehr als nur die Beförderung von Personen und Gütern auf Straßen und Schienen, auf Flüssen und Kanälen sowie durch Luftkorridore. Es geht für sie auch darum, ob der Landarzt weiter Hausbesuche bei seinen Patienten macht, ob die Sparkasse kleine Filialen schließt und stattdessen einmal die Woche mit einem Fahrzeug vor Ort präsent ist, ob Behördengänge im Internet erledigt werden können.

Es soll außerdem eine Auseinandersetzung über Möglichkeiten und Grenzen neuer Technologien geben. So könne durch online angebotene Dienstleistungen Verkehr verringert werden, aber es könne auch zusätzlicher Verkehr durch online bestellte Warenlieferungen erzeugt werden. Ein Eckpunkt für die Strategie besagt: »Wir brauchen mehr nachhaltige Mobilität, um Mensch und Umwelt zu entlasten.«

Strecken bis 20 Kilometer könnten attraktiv für Radfahrer gemacht werden, glaubt Schneider. Wichtig wäre es ihrer Ansicht nach beispielsweise, wenn Hausbewohner ihr Rad nicht die Kellertreppe hinaufschleppen müssen, wenn andere Unterstellmöglichkeiten geschaffen werden.

Der Landtagsabgeordnete Rainer Genilke (CDU) bemängelt, dass »wolkige Absichtserklärungen« den ÖPNV nicht weiterbringen. Die Landtagsabgeordnete Anita Tack (LINKE) findet: »Die veränderten Mobilitätsbedürfnisse der Menschen sind neu zu denken und nach den Grundsätzen der Nachhaltigkeit zu bewerten.« Busfahrer Lietzke hat eine konkrete Idee: Wenigstens ein Euro Parkgebühr am Bahnhof Birkenstein. Dem Infrastrukturministerium sind solche Überlegungen nicht fremd. Seite 11

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal