Allein machen sie dich ein
Christian Baron über kleine linke Erfolgserlebnisse in Berlin
Nicht nur religiöse Menschen, auch Linke stehen permanent vor ihrer ganz eigenen Theodizee-Frage. Wie kann man angesichts dieses beinahe kollektiv anmutenden Einverstandenseins der Unterdrückten und Ausgebeuteten mit dem Gewaltverhältnis namens Kapitalismus überhaupt noch an das Rebellische, das Solidarische, ja das Gute im Menschen glauben?
Marxisten haben da gegenüber weniger klassenkämpferischen Strömungen einen klaren Vorteil, der in ihrer analytischen Perspektive liegt: Die Legitimation der demokratisch verfassten Klassengesellschaft erfolgt durch eine ideologische Spaltung der lohnabhängigen Bevölkerung, die jedem einredet, was gut sei fürs Kapital, das sei auch gut fürs Fußvolk. Moralische Appelle helfen nicht, man muss selbst für sein Recht eintreten. Nicht vereinzelt, sondern gemeinsam.
Erfreulich, dass es in Berlin immer mehr Menschen gibt, die das wissen, sich verbünden und entschlossen Druck ausüben auf eine Gegenseite, die ihren Klassenkampf von oben seit Jahren einseitig zu führen glaubt. Das Bündnis »Zwangsräumung verhindern« konnte im vergangenen Sommer den Rauswurf eines Mieters durch die Wohnungsbaugesellschaft Degewo abwenden, im aktuellen Fall einer räumungsbedrohten Studentin zeigten sich die Degewo-Vertreter am Donnerstag überrascht und beeindruckt von der selbstbewussten Haltung der Aktivisten und boten Verhandlungen mit der Betroffenen an. Nach langem Protest nahm zudem am Mittwochabend die Eigentümerin die Kündigung des Inhabers des beliebten Gemüseladens »Bizim Bakkal« in der Kreuzberger Wrangelstraße zurück.
Der Kapitalismus lässt sich durch all das natürlich nicht überwinden. Aber es sind solch kleine Erfolgserlebnisse, von denen das dringend nötige weitere Wachstum der linken Widerstandsbewegung in Berlin fundamental abhängt.
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