Im Wahnsystem

Im Kino: »Mollath« von Annika Blendl und Leonie Stade

  • Stefan Koenig
  • Lesedauer: 3 Min.

Ein Jahr lang begleiteten zwei Filmstudentinnen Gustl Mollath. Annika Blendl und Leonie Stade erzählen die widersprüchliche Geschichte eines Justiz- und Forensik-Opfers.

Im Film »Mollath - und plötzlich bist du verrückt« geht es um Zweifel. Zweifel an der Gerechtigkeit, an der Fähigkeit psychiatrischer Gutachter. Zweifel an der Ehrlichkeit zweier Menschen, die einmal das Ehebett teilten. Und dann plötzlich sagt der Mann, der seine Frau abgöttisch liebt, die Ehe sei gefährdet, wenn sie, die inzwischen erfolgreiche Investment-Bankerin, nicht ihre Schwarzgeldgeschäfte einstellen würde. Aber sie weigert sich und droht, ihn fertigzumachen, wenn er ihre Geschäfte zu unterbinden trachte. Er wendet sich an die Bank und bittet darum, man möge seine Frau nicht in solch fragwürdige Geschäfte verwickeln. Doch anno 2003 war das »Geschäftsmodell Schweiz« für die Bankenwelt noch keinesfalls fragwürdig. Die Bank ermittelt gleichwohl intern gegen Mollaths Frau, und die Vorwürfe bestätigen sich. Aber er erfährt es erst, als der Zug längst abgefahren ist - zehn Jahre später im Wiederaufnahmeverfahren.

Bis dahin bescheinigen ihm mehrere Psychiater, an einem Schwarzgeld-Wahn zu leiden. Er durchlebt mehrere Prozesse mit brüllenden oder desinteressierten Richtern, die sich jeweils auf die Gutachter berufen, während diese sich auf die Gerichtsakten berufen, in denen seine Frau ihn ohne Beweisantritt als gewalttätig und mit getürkten Attesten als Gefahr für die Allgemeinheit darstellt. Als alle Lügen auffliegen, hat Mollath bereits sieben Jahre seines Lebens unschuldig in der geschlossenen Psychiatrie zwischen Mördern, geisteskranken Sittlichkeitsverbrechern und irren Psychiatern verbracht. Die Aufklärung ist ein Verdienst der Medien, die - aufmerksam geworden durch Mollaths Unterstützer - ordentlich recherchierten und mit neuen Fakten die Grundlage für ein Wiederaufnahmeverfahren legten.

Der Film beleuchtet auf unterschiedlichen Ebenen die diversen Wahrheiten. Für Mollaths Unterstützer ist klar, dass eine psychiatrische Unterbringung über sieben Jahre ein Verbrechen an Mollath war. Und dies sieht auch Gerhard Strate so, Mollaths berühmter Strafverteidiger. Er zitiert aus einem Pflegeprotokoll, dessen brisanter Inhalt zunftgerecht seinen Niederschlag in einem psychiatrischen Gutachten fand: »M. sitzt in seinem Zimmer und trinkt Tee«. Oder: »M. läuft in Unterhosen über den Flur.« Hintergrund, sagt Strate, war, dass man ihm anfangs keine Anstaltskleidung ausgehändigt hatte und er seine Kleidung wusch. Aber das steht da natürlich nicht.

»Wem soll man noch vertrauen?« fragt der Protagonist des Films. Eine gute Frage, wenn man bedenkt wie unser Rechtssystem allzu leichtfertig die Verantwortung auf Forensiker abwälzt, die ihren Lebensunterhalt fast ausschließlich mit Gerichtsgutachten bestreiten. Der Film wirft die Frage auf, ob wir die Macht an ein psychiatrisches Gutachtersystem abgegeben haben, in dem die in einem ordentlichen Prozess unabdingbare Beweisführung völlig irrelevant wird.

Mollath wird schließlich in 14 von 15 Punkten frei gesprochen. Ein Zweifel wegen des Streites mit seiner Ex bleibt. Insbesondere aber bleiben Zweifel am Wahnsystem würfelnder Psychiater.

Der Verfasser ist Autor des »Romans aus der Anstalt«: Mollath, Frau Merkel und ich, erschienen im April 2015.

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