Die jungen Alten
Christian Baron freut sich über eine neue Sozialfigur – ein bisschen
Neulich im Wedding: Eine auf ihren Rollator gestützte ältere Dame überquert mühsam eine der sich an vielen Hauptstraßen immer durch besonders kurze Grünphasen auszeichnenden Fußgängerampeln und erreicht schwer schnaufend die Bushaltestelle. Auf einer der unbequemen Sitzbänke platziert, kramt die gebrechlich wirkende Frau in ihrer Tasche - und zieht ein Smartphone der neuesten Generation hervor. Sofort tippt und wischt sie, als wäre das Equipment schon seit Adenauers Zeiten aus ihrem Alltag nicht mehr wegzudenken.
Ja, Berlin ist jung und es wird immer jünger. Nicht nur, was die Anzahl an Menschen unter 60 Jahren angeht. Vielmehr lässt sich eine neue Sozialfigur ausmachen: technikaffine Senioren. Die Forderung der »Technologiestiftung Berlin« nach tragfähigen technischen Lösungen für die Mobilität im Alter in der stetig wachsenden Stadt ist also berechtigt.
Bei aller Freude über die immer rüstigeren Rentner darf jedoch die Kehrseite dieses Trends nicht unter den Tisch fallen: Politik und Wirtschaft dürften bald erkennen, dass sie die Aktivität dieser immer mobileren Altersgruppe für sich nutzen können. Wer länger fit ist, so könnte es bald heißen, der soll auch länger arbeiten. Und wenn noch mehr Menschen als derzeit ihre Daten digital sammeln, könnte sich der Staat irgendwann ganz aus der Pflege im Alter zurückziehen: Wer sich nicht genug bewegt und »gesund« genug lebt, hieße es dann, ist selbst schuld.
Dass es sich bei all dem nicht nur um Zukunftsmusik handelt, zeigt der kleine Plausch mit besagter alter Dame, der sich an der Weddinger Bushaltestelle ergab: Auf ihrem Smartphone bediente sie eine Gesundheits-App, die automatisch ihre zu Fuß zurückgelegten Schritte zählt.
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