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Der Zweirad-Softie aus Athen

Die Westentaschenpsychologie des »Spiegels« über Yanis Varoufakis und sein Motorrad

  • Sarah Liebigt
  • Lesedauer: 3 Min.
»Sag mir, was du fährst und ich sage dir, was für ein Mensch du bist«, dachte sich Spiegel-Redakteur Christian Wüst. Yanis Varoufakis attestierte er, ein falscher Rebell zu sein, weil er kein »bemerkenswertes Motorrad« fahre.

Ganz hinten, auf Seite 115 unter einer Bildmeldung über poppende Leuchtkäfer, steht der Kommentar »Vergurktes Leben« des Automechanikers bzw. Wissenschaft&Technologie-Redakteurs Christian Wüst. Untertitel: »Das Motorrad von Yanis Varoufakis entlarvt ihn als falschen Rebellen«. Das Griechenlandthema der aktuellen Ausgabe des »Spiegel« (die mit dem Cover, das nur lustig wäre, schmückte es die Titanic) findet weiter vorn statt. Die Redaktion selbst fand den Kommentar schon zu schlecht, als dass sie ihn ins Thema einbetten wollte. Schlechtes Omen.

Wüst meint also, Varoufakis Motorrad entlarve ihn als »falschen Rebellen«. Weil ich immer noch an das Gute im Spiegel glaube, lache ich zunächst. Lustiger Titel. Aber schon nach dem ersten Satz müsste man aufhören zu lesen. »Die Yamaha XJR 1300 von Yanis Varoufakis ist kein bemerkenswertes Motorrad.« - Wieso geht dann der Kommentar noch ganze 34 Zeilen weiter?

Und wie kommt man überhaupt auf die Idee, Varoufakis wolle sich ausgerechnet durch/mit sein/em Motorrad als Rebell darstellen? Eine solche These aufstellen kann auch nur, wer mit Politik rein gar nichts am Hut hat, aber sich für einen Spezialisten in Sachen PS und ccm hält: »Sag mir, was du fährst und ich sag dir, wer du bist.« Werter Herr Wüst: Varoufakis war bis vor ganz kurzem Finanzminister in Griechenland. In einem Europa der Schäubles, Lagardes und Dijsselbloems. Mehr Rebell geht nicht.

Dass dieser Kommentar überhaupt gedruckt wurde, ist wohl nur der Tatsache geschuldet, das Christian Wüst seine Abneigung gegen Motorräder und -fahrer mit dem Spiegel-Motto »Die Griechen sind doof« kombinieren konnte: Die Harley Days in Hamburg seien eines der »lautstärksten öffentlichen Ärgernisse der Republik«. Wüst macht sich lustig über »Pseudo-Outlaws«, die auf gesäßschonenden Sätteln »lustvoll ihren Lebensabend vergurken«. Und schließlich: »Politikfrührentner« Varoufakis sei ein »Zweiradsoftie«. Weil er besagte Yamaha XJR 1300 fährt. Soviel schlecht als »Kommentar« getarnte Nörgelei auf einem Fleck, achweh.

Solche Aussagen lassen in der Regel auf zwei Optionen schließen. Entweder Wüst (51) wäre am liebsten selbst genau so ein Pseudo-Outlaw, darf aber als Familienvater nicht (mehr) aufs Krad steigen. Oder er ist einer von denen, die Motorradfahrer per se verachten. Weil sie sich immer vordrängeln. Weil ihnen der Wind um die Nase weht und sie an jeder Ampel schneller wegkommen. Usw. - Dieser absurde Glaube, alle Motorradfahrer wollten Rebellen sein, hält sich leider hartnäckig. Manche Motorradfahrer sind Angeber, die mit ihren Joghurtbechern und 180 Km/H die Landstraßen unsicher machen. So wie Autofahrer. Manche Motorradfahrer sind Sonntagsfahrer, die auf teuren Custombikes einmal im Monat durch die Gegend tuckern. So wie Autofahrer. Klingt komisch, ist aber so, Herr Wüst.

Wie auch immer. Was kommt als nächstes? Ein Kommentar zu Varoufakis’ kahlem Schädel aus der Gesundheitsredaktion? Einer von den Kunst&Mode-Hanseln zu seinen Hemden?

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