Meister backen kleine Brötchen

Warum einem traditionellen Handwerk der einst goldene Boden verloren geht - ein Bericht aus dem Nordosten

  • Grit Büttner, Wismar
  • Lesedauer: 3 Min.
In Deutschland gibt es über 400 Brotsorten, doch immer weniger Handwerksbäckereien. Die Industrie verdrängt kleine Betriebe vom Markt. Der Schwund hat aber auch andere Gründe.

Fünf Uhr morgens geht es in der Backstube von Klaus Tilsen heiß her. Der 57-jährige Wismarer betreibt die letzte Handwerksbäckerei der mecklenburgischen Hansestadt in fünfter Generation. Tochter und Schwiegersohn arbeiten bereits mit, erklärt der Meister. Gerade wird frischer Plunderteig gezogen. Die mit Sauerteig angesetzten Brote müssen in den Ofen und die handlich kleinen »Herdsemmeln« mit der knackigen Kruste zum Auskühlen in Körbe geschüttet werden.

Schließlich verpackt Tilsen »Langbrote« für Kindergärten, die viele gleichmäßige Scheiben ergeben. Zuletzt wuchtet er einen Acht-Kilo-Laib, groß wie ein Rad, in den Laden. »Solche Bauernbrote waren früher auf Mecklenburgs Höfen gang und gäbe, die Industrie kann so was aber gar nicht herstellen.« Für ihn lohne sich der enorme Aufwand. »Nur das bringt den richtigen Geschmack«, sagte der Firmenchef.

In Mecklenburg-Vorpommern gehe dem traditionellen Bäckerhandwerk der einst goldene Boden verloren, erklärt Landesinnungsmeister Thomas Müller in Ribnitz-Damgarten. Seit 1990 habe sich die Zahl der handwerklichen Bäckereien und Konditoreien von 480 im Nordosten auf heute etwa 190 reduziert. Und viele der älteren Meister suchten derzeit händeringend Nachfolger, die den Betrieb weiterführen. Vor allem auf dem Land wolle kaum ein junger Handwerker früh morgens in der Backstube schwitzen. Die Zahl der Bäckerlehrlinge fiel auf unter 90 landesweit. Claudia Alder, Hauptgeschäftsführerin der Handwerkskammer Ostmecklenburg-Vorpommern, will wieder mehr Schüler dafür begeistern. Auch im Nahrungsmittelhandwerk hätten längst moderne Techniken und Technologien Einzug gehalten, betont sie. Bei mehr als 400 deutschen Brotsorten und 1200 Arten Feingebäck seien in einer Handwerksbäckerei Kreativität und Innovationsfreude gefragt. Während die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns im Land allenfalls zu ein paar Filialschließungen geführt habe, mache seit Jahren vor allem die Industrie mit dem Beliefern von Backshops in Discountern und Supermärkten dem Handwerk Konkurrenz, berichtete Thomas Müller. »Für acht Cent kann ich kein Brötchen backen«, sagte der Meister. Leider würden selbst Sterne-Hotels ihren Gästen oft nur preiswerte Einheitsware der Großindustrie zum Frühstück vorsetzen.

Zum Erhalt der Handwerksbäckereien plädiere er für einen Mindestpreis für Brot und Brötchen nach dem Vorbild Frankreichs. So nämlich würde das klassische französische Baguette-Brot geschützt und kleine Bäckereien hätten weiter ihre Berechtigung. Doch das Problem sei auch ein hausgemachtes, räumte Müller ein. »Bäckermeister sollten keine Tüten aufreißen und Fertigmischungen verwenden.« Damit gehe Qualität in der Backstube verloren ebenso wie Individualität und Geschmack. Doch nur für echte Bäckerbrötchen zahle der Kunde gern auch mehr als für aufgewärmte Industrie-Teiglinge.

»Handwerker müssen eigene Ideen entwickeln, sonst sind sie weg vom Fenster«, sagt Jörg Dahms, Landesgeschäftsführer der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gasstätten (NGG), in Neubrandenburg. Neue Produkte, die Bäckerei als Erlebnismanufaktur und nicht als vorgegaukeltes Handwerk, das locke Kundschaft an. »Dieser Beruf hat viel mit Berufung zu tun.«

Allerdings habe hier der Mindestlohn durchaus einen Haken: Kaum jemand sei mehr zur Nachtarbeit in einer heißen Backstube zu bewegen, wenn er für den selben Lohn bei Tag in einer klimatisierten Brotfabrik stehen kann, meint der Gewerkschafter. Nachtzuschläge aber könnten Meisterbetriebe kaum bezahlen. dpa/nd

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