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Korrupte Wissenschaft

Wie Konzerne und Banken Einfluss auf die Forschung an Hochschulen und Universitäten nehmen

  • Martin Koch
  • Lesedauer: 5 Min.

Wie die Kunst ist auch die Wissenschaft, sind Forschung und Lehre in Deutschland frei. Zumindest steht das im Artikel 5 des Grundgesetzes. Wobei nach einer Definition des Bundesverfassungsgerichts als wissenschaftliche Forschung jede Tätigkeit gilt, »die nach Inhalt und Form einen ernsthaften, planmäßigen Versuch zur Ermittlung der Wahrheit« darstellt. So viel Wertschätzung für die Wahrheitssuche gab es in der Geschichte nicht immer. Im Gegenteil. Lange stand die Wissenschaft unter Aufsicht der Kirche. Später war sie dem Druck von Fürsten und Landesherren und zuletzt dem Einfluss staatlicher Institutionen ausgesetzt. »Jetzt wird die staatliche Einflussnahme zunehmend abgelöst durch ökonomische Steuerungsimpulse, durch Geldmacht«, schreibt Christian Kreiß, Professor für Wirtschaftspolitik, in seinem Buch »Gekaufte Forschung«.

Darin legt er eindrucksvoll dar, wie es Konzernen und Banken zunehmend gelingt, Wissenschaftler für ihre Interessen einzuspannen. Am weitesten fortgeschritten ist dieser Prozess in den USA. Dort wird das System der höheren Bildung bereits zu 55 Prozent von privaten Geldgebern finanziert. In Deutschland sind es derzeit rund sechs Prozent. Tendenz: rapid steigend.

Eine besonders üble Rolle bei der Vertuschung unliebsamer Wahrheiten spielte jahrelang die Tabakindustrie, die dabei vor allem das Ziel verfolgte, die Unschädlichkeit des Passivrauchens zu belegen (obwohl man intern vom Gegenteil wusste). Der US-Konzern Philip Morris gewann dafür den renommierten schwedischen Umweltmediziner Ragnar Rylander, der für seine geheimen Dienste jährlich 150 000 Dollar kassierte. Durch die geschickte Manipulation von Studiendaten lieferte Rylander das gewünschte Ergebnis: »Zwischen Passivrauchen und Gesundheitsschädigung besteht kein Zusammenhang.«

Über 50 Jahre gelang es den Tabakkonzernen mit Hilfe korrupter Forscher, einschneidende Rauchverbote zu vereiteln. Noch 1993 stand in einer Vortragsschrift der Tabakindustrie zu lesen: »Eine Verminderung des Zigarettenkonsums um drei bis fünf Stück täglich würde die Gewinne der Firmen um über eine Milliarde Dollar pro Jahr verringern.« Elf Jahre später war das Spiel vorbei. Im größten Wirtschaftsprozess der US-Geschichte kamen die kriminellen Machenschaften der Tabakindustrie ans Licht, die den Konzernen über die Jahre einen Gewinn von 742 Milliarden Dollar beschert hatten. Allein die Strafen fielen lächerlich gering aus. Unter anderem wegen ihrer guten Beziehung zur Regierung von George W. Bush mussten die Konzerne am Ende keinen Cent Strafe zahlen, sondern nur die Prozesskosten übernehmen.

Auch in der Chemie-, Energie-, Gentechnik- und Pharmaindustrie werden Daten in großem Maßstab gefälscht. Mal geht es darum, die Giftigkeit bestimmter Substanzen (zum Beispiel Dioxin) herunterzuspielen. Mal werden Medikamente trotz besorgniserregender Nebenwirkungen von gekauften Forschern für unbedenklich erklärt. Als die kanadische Hämatologin Nancy Olivieri 1997 einem Mittel gegen die Blutkrankheit Thalassämie schädliche Wirkungen attestierte, wurde sie von einem Fakultätskollegen ihrer Universität öffentlich diskreditiert. Damit nicht genug veröffentlichte der Kollege gegenteilige Studienergebnisse, ohne allerdings anzugeben, dass er dabei von der Herstellerfirma des Medikaments großzügig finanziert worden war.

In Deutschland sind die Verflechtungen zwischen Industrie und Forschung in den letzten Jahren ebenfalls enger geworden. Meist läuft dieser Prozess über sogenannte Drittmittel, also Gelder, die laut Hochschulrahmengesetz »für den vom Geldgeber bestimmten Zweck zu verwenden und nach dessen Bedingungen zu bewirtschaften sind«. So wurde etwa an der Universität Köln ein Energiewissenschaftliches Institut (EWI) gegründet, das sich 2010 mit zwei anderen Instituten in einem Gutachten dafür aussprach, die Laufzeiten von Atomkraftwerken zu verlängern. So richtig überraschend kam das nicht, denn das EWI wird fast zur Hälfte von den AKW-Betreibern RWE und E.on finanziert.

Auch andere Unternehmen in Deutschland sind daran interessiert, sich einen direkten Zugang zu Universitäten zu verschaffen. Dabei gehe es nicht mehr nur um einzelne Stiftungsprofessuren, meint Kreiß, häufig würden gleich ganze Institute mit mehreren Professuren samt Infrastruktur eingekauft. Besonders erfolgreich auf diesem Gebiet agieren beispielsweise die Deutsche Bank, der Pharmakonzern Bayer HealthCare, die Audi AG und die Fondsgesellschaft Union Investment. Dass die mit diesen Unternehmen kooperierenden Hochschulen erklären, sie seien in keiner Weise von der Industrie beeinflusst, versteht sich, erscheint aber nicht unbedingt glaubhaft. So waren weder die Bayer AG noch die Universitätsklinik Köln bereit, den zwischen ihnen geschlossenen Vertrag offenzulegen. Und sie taten es selbst dann nicht, als sie dazu vom Deutschen Hochschulverband aufgefordert wurden.

Manche Hochschulen gehen sogar soweit, ihren finanzstarken Kooperationspartnern Hörsäle zu widmen. So gibt es an der Fachhochschule Würzburg seit 2006 den Hörsaal »Aldi Süd«, der auf Kosten des Discounters renoviert wurde. An der Universität Erlangen-Nürnberg finden die Statistik-Vorlesungen an der wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Fakultät im »easyCredit«-Hörsaal statt. Wohin solche Aktionen führen können, zeigt wiederum das Beispiel USA. Dort wurde, kein Witz, an der renommierten University of California ein »Mars-Lehrstuhl für frühkindliche Ernährung« eingerichtet. Dessen Inhaber, der Internist Carl Keen, war in einer Studie zu dem Ergebnis gelangt, dass Schokolade so ungesund für Kinder gar nicht sei. Der bekannte Nahrungsmittelhersteller (»Mars macht mobil«) hätte in der Tat keinen besseren Experten finden können.

Obwohl solche Praktiken auf lange Sicht das Vertrauen in die Wissenschaft zerstören, kann man hierzulande in offiziellen Dokumenten lesen, dass die Höhe der Drittmittel ein Maß für den Erfolg eines Hochschullehrers sei und zugleich als Indikator für die Qualität der Forschung gelten könne. Im Gegensatz dazu fordert Kreiß ein Verbot direkter Geldflüsse von Wirtschaftsunternehmen an Hochschulen. Wenn überhaupt, dann sollten die von der Industrie zur Verfügung gestellten Mittel in einen Fonds eingebracht werden, an dessen Spitze ein unabhängiges Gremium stehe, das allein über die Mittelvergabe entscheide. Darüber hinaus plädiert Kreiß für eine Erhöhung der öffentlichen Forschungsfinanzierung sowie für mehr Transparenz bei der Verteilung von Steuermitteln.

All das klingt nicht schlecht, mutet aber in einer gnadenlos profitorientierten Gesellschaft wie der unsrigen eher illusorisch an. Gleichwohl gibt es ermutigende Beispiele, namentlich aus der Pharmaindustrie. So müssen alle in Italien vertretenen Pharmahersteller fünf Prozent ihrer Werbeausgaben an die italienische Zulassungsbehörde für Medikamente zahlen, die damit unabhängige Forschung finanziert. Zwischen 2005 und 2007 konnten so für 78 Milliarden Euro 151 Studien gefördert werden. Kreiß empfiehlt dieses Modell für ganz Europa. Und er empfiehlt überdies, den Abgabensatz auf Werbung schrittweise bis auf 100 Prozent zu erhöhen. Denn dadurch entfiele vermutlich ein Großteil der unnötigen und teilweise schädlichen Werbung, und es wäre mehr Geld da für eine Arzneiforschung zum Nutzen der Patienten.

Christian Kreiß: Gekaufte Forschung. Wissenschaft im Dienst der Konzerne. Europaverlag Berlin, 240 S., 18,99 €

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