Wie der Tod ekstatisch das Leben feiert

Das Béjart Ballet Lausanne zeigt »Ballet for Life« in der Deutschen Oper Berlin

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 4 Min.

Wind pfeift, mit Donner grellt ein Blitz auf, dann falten aus dem Orchester der Deutschen Oper Scheinwerfer bühnenhoch einen Lichtfächer auf. Gigantisch wie ein Rockkonzert beginnt das Gastspiel des Béjart Ballet Lausanne mit »Ballet for Life«. Als der Strahlenfächer transparent wird, liegen unter weißen Tüchern die Tänzer auf einem Leichenfeld wie eben Bestattete. Allmählich richten sie sich auf, finden ins Leben zurück, dem Maurice Béjarts 1996 uraufgeführte Kreation huldigt. Aus jener Spannung zwischen Lebenslust und Todesgewissheit speist sich der Hymnus an beide Formen menschlicher Existenz: Diesseits und Jenseits. Es ist der Tod, der hier geradezu ekstatisch das Leben feiert und denen Mut macht, die um ihr Ende wissen - uns allen.

Keine gefügte Geschichte erzählt der 2007 verstorbene Magier des Tanzes, wohl aber verficht jener Taumel um das Hier und Dort ein Anliegen. Großen Toten setzt er ein Denkmal: Freddie Mercury und Jorge Donn, der eine legendärer Frontmann der englischen Rockgruppe Queen, der andere nicht minder charismatischer Starsolist und Béjarts Lebenspartner, beide exzentrisch, lebenshungrig, zutiefst menschlich in ihrer Maßlosigkeit, auszuschöpfen, was die Welt bietet. Und beide, der eine 1991, der andere 1992, starben mit 45 Jahren an Aids. Zu viel Liebe kann töten, was Béjart in einem zitierten Text beklagen lässt: Wir haben Liebe gemacht, keinen Krieg, weshalb führt die Liebe dann Krieg gegen uns?

Knapp 20 Jahre sind seit der Premiere und einer spektakulären Vorstellung in Paris, mit Elton John und Queen ohne Mercury, vergangen. Gil Roman, exzellenter Tänzer und von Béjart selbst ernannter Nachfolger, pflegt das Erbe seines Meisters, indem er es am Bühnenleben erhält. Neben Béjarts frühen Würfen wie »Boléro« und »Sacre du printemps« ist »Ballet for Life« auf weltweiten Tourneen zu einem neuen Markenzeichen der 41 Tänzer zählenden Supercompagnie geworden. Mehr noch steht es heute, getanzt von einer jungen Generation, als ein Über-Epitaph: auch für den verstorbenen Gründer und seinen kongenialen Ausstatter Gianni Versace, der 1997 ermordet wurde.

Doch nicht Wehmut durchzieht den Abend, sondern eine geballte Ladung Leben in ihren vielen Facetten. Béjart wäre nicht der Wunderheiler durch Tanz, würde er sich nicht alle Freiheiten künstlerischer Gestaltung nehmen und dem Tod mit Ironie, Groteske, Persiflage begegnen. Sein »Ballet for Life« brodelt vor Daseinsfreude und akzeptiert den Tod als Fortsetzung des Lebens mit anderen Mitteln. In 22 Szenen gliedert er seinen Bilderbogen um Mercury, dem Julien Favreau biegsame Gestalt gibt, ob in Grellrot oder Todesschwarz, in Anlehnung an einen Auftritt des Sängers mit Königsmantel und Krone oder auf Kothurnen. Für Mercurys schäumend expressive Seite steht als überragender Akteur dieser Produktion Oscar Chacón, in seinem mitreißenden Furor an Donn erinnernd. Chacón trotzt in zwei Soli zu Mozart-Musik selbst noch dem nahenden Tod Leben ab, tanzt vor Röntgenaufnahmen des Knochensystems suggestiv, plastisch, präzis, dass er sich getrost lässig verabschieden kann: Sterben scheint endlos fern.

Die Hits von Queen mit Mercurys unvergleichlicher Stimmgewalt sind Auslöser für die Bilder, die bisweilen verrätselte oder surreale Botschaften vermitteln und einander überlagern, manchmal fast leerlaufen, jedoch kaum je die Spannung sinken lassen. Zu »Heaven for Everyone« gesellt sich Freddie ein lichter Engel zu; Mozarts Klavierkonzert KV 467, als trügerisch in seinem Jenseits-Frieden gedeutet, belebt sogar Tote; »Radio Gaga« zwängt 15 Jungs in einen engen Kasten, den sie sprengen; »I want to break free« ist berührende filmische Hommage an Donn.

Auch stilistisch hebt Béjart Grenzen auf: Mozart und Queen im selben Boot; getanzt wird auf Spitze, in Pumps oder barfuß. Als grandioses Finale firmiert »The Show must go on«. Mit sieghaften Faustposen und im Flirt mit ihren Laken ziehen die Tänzer der Todeslage entgegen. Bis dahin aber, so viel ist gewiss, haben sie satt das Leben genossen.

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