Paraguays offene Wunde

Auflösung einer Landbesetzung 2012 forderte 17 Tote - Kleinbauern stehen jetzt vor Gericht, Polizisten nicht

  • Jürgen Vogt, Buenos Aires
  • Lesedauer: 3 Min.
Drei Jahre nach dem Massaker im paraguayischen Curuguaty an Land besetzenden Kleinbauern beginnt diesen Montag der Prozess. Verantworten müssen sich überlebende Kleinbauern, nicht die Polizei.

Es war der Anfang vom Ende der Ära Lugo - des einzigen progressiven Präsidenten Paraguays in Jahrzehnten. Auf das Massaker in Curuguaty im Juni 2012 folgte der parlamentarische Putsch gegen Fernando Lugo auf dem Fuß. An diesem Montag soll nun der Prozess gegen Landbesetzer beginnen, die sich am 15. Juni 2012 bei Curuguaty eine Farm angeeignet hatten.

Ein gewaltiges Polizeiaufgebot kam, sah und schoss; elf Besetzer wurden getötet, sechs Polizisten kamen bei der Rambo-Aktion gegen wehrhafte Landbesetzer ums Leben. Überlebende der Letzteren - zehn Männer und drei Frauen - müssen sich nun vor Gericht verantworten, Polizisten nicht. Die Staatsanwaltschaft wirft den 13 Campesinos Mordversuch, Widerstand gegen die Staatsgewalt und illegale Landbesetzung vor. Bei einer Verurteilung drohen ihnen bis zu 30 Jahren Gefängnis.

Nur wenige Tage nach dem Massaker wurde Lugo in einem Eilverfahren seines Amtes enthoben. Der gewählte Präsident hatte sich bis zum Schluss gegen seine Amtsenthebung gewehrt. Nachdem ihn das Parlament mit großer Mehrheit abgesetzt hatte, sprach er von einem »Staatsstreich im Expressverfahren«. Was am 15. Juni 2012 auf dem Landgut genau geschah, ist bis heute umstritten.

Die Polizei wirft den Bauern vor, bei dem Räumungsversuch ohne Vorwarnung und gezielt auf sie geschossen zu haben. Die Campesinos machen dagegen unbekannte Scharfschützen verantwortlich, die plötzlich das Feuer auf die anrückenden Polizisten eröffnet hätten. Hartnäckig hält sich deshalb auch der Verdacht, das Massaker wurde herbeigeführt, um den Präsidenten aus dem Amt kegeln zu können.

Das Verfahren wirft ein Schlaglicht auf die paraguayische Justiz, in der vor allem mafiöse Seilschaften den Ton angeben. Vor Gericht müssen sich nur die Campesinos verantworten. Von den 13 Angeklagten stehen zwölf unter Hausarrest, einer sitzt wegen einem anderen Verfahren in Haft. Ermittlungen oder gar eine Anklage gegen die beteiligten Polizisten wurden von Staatsanwaltschaft und den zuständigen Richtern nicht für nötig erachtet. Die Sicherheitskräfte hätten lediglich in Notwehr gehandelt, so ein Argument. Filmaufnahmen, die den Einsatz der Polizeihubschrauber dokumentieren, sind verschwunden, Rechtsanwälte der Campesinos sollten mit einem Disziplinarverfahren eingeschüchtert werden. Der bisher einzige Lichtblick für die Angeklagten in dieser juristischen Gemengelage ist, dass es ihren Anwälten gelungen ist, den Prozess in die Hauptstadt Asunción verlegen zu lassen. Die dadurch mögliche größere Öffentlichkeit lässt ein mehr rechtsstaatliches Verfahren erwarten, als es in der abgeschiedenen Provinz möglich wäre.

Das Landgut gehörte dem inzwischen gestorbenen Senator und Großgrundbesitzer Blas Riquelme und ist weiter im Familienbesitz der Riquelmes. Blas Riquelme hatte Staatsländereien vom Diktator Alfredo Stroessner (1954-1989) bekommen, wie die offizielle Wahrheitskommission zur Aufarbeitung der Diktaturverbrechen berichtete. Ein zu Stroessners Zeiten üblicher Vorgang, bei dem sich die Nutznießer der Diktatur reichlich und günstig mit Staatsland versorgten. Auch deshalb sind in Paraguay noch immer 80 Prozent des fruchtbaren Bodens im Besitz von knapp zwei Prozent der Bevölkerung.

Fast täglich demonstrieren Kleinbäuerinnen und Kleinbauern sowie Landlose für eine Umverteilung. Bisher sind jedoch alle Versuche einer tatsächlichen Landreform gescheitert.

Der Prozess wird von einen Bündnis von sechs deutschen Nichtregierungsorganisationen begleitet, darunter sind Arbeitsgemeinschaft Bäuerliche Landwirtschaft (AbL), Brot für die Welt, FDCL, FIAN und Misereor. »Die Situation in Paraguay spitzt sich seit dem Massaker von Curuguaty weiterhin zu. Das Agrobusiness expandiert seither ausgesprochen aggressiv und kann hierbei auf Straflosigkeit oder gar Komplizenschaft der repressiven Kräfte des Staates bauen. Rechte der Bäuerinnen, Bauern und Indigenen werden systematisch verletzt«, so Regine Kretschmer, Lateinamerikareferentin bei der Menschenrechtsorganisation FIAN.

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