»Totales Chaos« auf Hellas’ Inseln

50 000 Flüchtlinge erreichten Griechenland im Juli / UNHCR kritisiert Athen und die EU

  • Anke Stefan, Athen
  • Lesedauer: 3 Min.
Innerhalb von nur drei Tagen wurden 1417 Flüchtlinge vor und auf den Inseln Kos, Chios, Agathonisi, Samos und Lesbos aufgegriffen. Griechenland ist längst mit ihrer steigenden Zahl überfordert.

Mehr als 150 Flüchtlingen aus Syrien gelang allein am Montagmorgen die gefährliche Überfahrt in überladenen Schlauchboten aus der Türkei zur griechischen Insel Kos. Augenzeugenberichten zufolge sprangen hilfsbereite Griechen ins Wasser, um den ermatteten Bootinsassen sicher ans Land zu helfen. Hier warten bereits Tausende weitere Flüchtlinge, vorwiegend aus den Kriegsgebieten Syrien und Afghanistan, auf die Ausstellung von Papieren, die ihnen die Weiterreise in ein anderes europäisches Land ermöglichen sollen.

Insgesamt kamen nach Angaben der UNO allein im Juli ungefähr 50 000 Menschen auf der Flucht vor Krieg und Krise in Griechenland an. Denselben Berechnungen zufolge wagten seit Anfang des Jahres insgesamt etwa 224 000 Menschen den gefährlichen Weg übers Mittelmeer. Von ihnen erreichten 98 000 die italienische und 124 000 die griechischen Küste. Mehr als 2100 Menschen überlebten die Reise nicht.

Der verschuldete und von seinen Gläubigern zu einem immer drastischerem Abbau der Sozialleistungen gezwungene griechische Staat ist mit der Betreuung der Neuankömmlinge völlig überfordert. Man habe es mit einem europäischen Problem zu tun, erklärte der griechische Ministerpräsident nach einer Sondersitzung mit den zuständigen Kabinettsmitgliedern. »Wir verstehen alle, dass die Zuspitzung des Phänomens ein Ergebnis der militärischen Interventionen des Westens in den betroffenen Ländern ist, insbesondere in Syrien und Libyen, früher in Irak und Afghanistan«, sagte Alexis Tsipras am Freitag nach Beendigung der Sitzung. Der Premier warf den europäischen Partner vor, für die Bewältigung der mit dem Flüchtlingsstrom verbundenen Probleme würden ausschließlich die Ankunftsländer, insbesondere Italien und Griechenland, verantwortlich gemacht.

Bei der Sitzung wurde eine bessere Koordination der betroffenen Ministerien und die Beschleunigung der Einrichtung einer »besonderen Verwaltungsbehörde« beschlossen. Sie ist Voraussetzung für die schrittweise Freigabe von EU-Mitteln in Höhe von 486 Millionen Euro bis 2020. 260 Millionen Euro sollen für die Versorgung von Flüchtlingen und Migranten sowie 166 Millionen für die Abwehr von Menschen an den griechischen EU-Außengrenzen genutzt werden.

Knapp 8 Millionen Euro könnte Griechenland nach Angaben der Sprecherin von EU-Flüchtlingskommissar Dimitris Avramopoulos, Natasha Berto, schon in der nächsten Woche erhalten. Dies wäre nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Das UN-Flüchtlingskommissariat (UNHCR) sprach bereits von einem »totalen Chaos« auf den griechischen Inseln. Nach Ansicht von Vincent Kostel »ist die Lage in Bezug auf Trinkwasser, medizinische Versorgung, Lebensmittelhilfe völlig unzureichend. Auf den meisten Inseln besteht keine Möglichkeit zur Aufnahme, die Menschen schlafen nicht einmal unter irgendeinem Dach«.

In Athen leben mehr als 500 aus Afghanistan Geflüchtete seit über drei Wochen in einem provisorischen Zeltlager in einem Park. Versorgt werden sie von Aktivisten, die außer den Zelten, Kleidung und Gebrauchsgegenständen des täglichen Bedarfs zwei Mahlzeiten am Tag und die gesundheitliche Betreuung der Flüchtlinge organisieren. Den freiwillig tätigen Medizinern ist es sogar gelungen, die vor allem unter den etwa 150 Kindern grassierende Gastritis in den Griff zu bekommen. Die SYRIZA-geführte Regierung arbeitet derweil seit zehn Tagen fieberhaft am Aufbau eines Containerdorfs abseits bewohnter Gebiete der Hauptstadt, in dem die Flüchtlinge den Blicken der Touristen, aber auch der Hilfe der Aktivisten entzogen wären.

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